Die Lautenspielerin - Roman
gebracht hatte, frage Jeanne: »Es ist so still im Haus. Ist denn niemand hier?«
»Es ist tief in der Nacht, Madame, und Ihr befindet Euch im Flügel Seiner Herzoglichen Durchlaucht. Außer Euch hat derzeit niemand die Ehre, hier zu weilen.« Er verneigte sich und ging hinaus. Ein Schlüssel wurde umgedreht, und Jeanne war erneut eine Gefangene, nur diesmal in angenehmerer Umgebung.
Der widerliche Gestank, der von ihr ausging, stieg ihr in die Nase. Sie setzte sich in den Zuber, wusch und schrubbte sich, bis ihre Haut rot war. Sie spülte den Mund und rieb sich die Zähne mit einem Tuch sauber. Ihre Haare klebten vor Schmutz und Fett, dass es eine Schande war, und sie brauchte ein ganzes Stück Seife, um die langen Locken zu säubern. Schließlich stieg sie aus dem Zuber, wickelte sich in ein Leinentuch und setzte sich an das offene Fenster, durch das warme Nachtluft strömte. Seufzend machte sie sich an die mühevolle Arbeit des Kämmens, um die Läuse zu entfernen.
Als sie sich halbwegs sauber fühlte, ging sie hinüber in den Schlafraum und fand ein hellgrünes Tageskleid auf dem Bett. Das Kleid war in der Taille zu eng, die Röcke zu kurz, denn die Montpensier war kleiner und zierlicher als sie. Dessen ungeachtet schlüpfte Jeanne in die Unterröcke. Sie wollte dieses Haus so schnell wie möglich verlassen. Als hätte sie sie beobachtet, trat im nächsten Moment eine Dienerin herein und half ihr beim Schnüren des Mieders. Die Frau sagte kein Wort und vermied direkten Blickkontakt. Danach brachte sie ein Tablett mit Pastete, Pfirsichen, Brot und Wein.
Als Jeanne wieder allein war, nahm sie ein kleines Messer von dem silbernen Tablett und prüfte es auf seine Schärfe. Die Glocken von Saint-Germain läuteten zur dritten Morgenstunde. Sie steckte das Messer in ihren Ärmel und begann hin und her zu
wandern. Außer kleinen Bronzestatuetten nach griechischem Vorbild, einem Bücherregal und einem Gemälde, das eine Hirschjagd zeigte, entdeckte Jeanne keine Hinweise auf den Bewohner des Zimmers und kam zu dem Schluss, dass es sich um ein Gästegemach handelte. Vielleicht empfing der Herzog hier seine Mätressen? Möglicherweise gab es eine Geheimtür. Jeanne tastete die Wände in beiden Räumen ab, konnte jedoch nichts finden.
Sie aß ein Stückchen Brot, spülte es mit etwas Wein hinunter und ging in den kleineren Nebenraum, in dem außer dem Zuber nur eine Wäschetruhe stand. Bevor sie sich mit dem kleinen Messer an dem Türschloss zu schaffen machte, legte Jeanne das Ohr gegen die Tür, um sich zu vergewissern, dass niemand auf dem Gang war. Kaum hatte sie leise damit begonnen, das Schloss zu bearbeiten, als eine Stimme auf der anderen Seite sagte: »Madame, bitte, unterlasst das. Ich muss Euch sonst fesseln.«
Sie hätte es wissen müssen, erwiderte aber trotzdem: »Ich könnte schreien.«
Der Diener des Herzogs sagte ruhig: »Niemand würde Euch hören, und ich müsste Euch knebeln.«
Entmutigt ging Jeanne in den Schlafraum und legte sich aufs Bett. Es dauerte nicht lange, bis sie in einen Schlaf der Erschöpfung sank.
Als sie eine Bewegung neben sich spürte, fuhr sie erschrocken auf. Die ersten Sonnenstrahlen fielen bereits durch die Fenster. Jeanne blinzelte.
»Ihr seht besser aus, und Ihr riecht besser!«, konstatierte Henri de Guise, der lässig ausgestreckt in Hemd und Hose neben ihr auf dem Bett lag.
Alarmiert setzte Jeanne sich auf und wollte aus dem Bett springen, wurde jedoch am Handgelenk zurückgehalten.
»Nicht. Ihr seht zauberhaft aus. Ich möchte mich in aller Form für das entschuldigen, was meine Schwester Euch angetan hat. Sie ist sehr emotional und schießt oft über das Ziel hinaus. Aber
Ihr würdet das nicht weitererzählen, nicht wahr? Schon gar nicht der lieben Katharina de Medici. Sie würde es überbewerten und dann - ach du liebe Zeit!« Spielerisch zog er an den Schnüren von Jeannes Mieder. »Unsere besorgte Landesmutter würde das zum Anlass nehmen, uns Rachsucht und Unversöhnlichkeit vorzuwerfen. Das wiederum würde sie gleichsetzen mit einem Versuch, den Friedensschluss zu boykottieren. Aber das wäre übertrieben! Wirklich.« Er zog das Mieder auseinander und strich ihr über die Wirbelsäule.
Jeanne rang nach Luft, aber nicht, weil die Berührung seiner Hand sie in Verzücken versetzte, sondern weil sie Todesangst verspürte. Er ließ ihr keine Wahl. Wollte sie das Hôtel lebend verlassen, musste sie sich auf sein Spiel einlassen.
»Natürlich sind wir Guisen stolz
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