Die Lautenspielerin - Roman
Kinns. »Ich kann Euch nichts sagen, was Ihr nicht schon wisst.«
»Überlasst es mir, das zu beurteilen. Seid Ihr nicht mit der englischen Lady Dousabella bekannt? Plant die intrigante Kuh ein Komplott gegen meine Familie? Ich weiß, dass ihre Königin uns und Philipp von Spanien verabscheut.« Die Dolchspitze bohrte sich in Jeannes Fleisch.
Jeanne stammelte unter Tränen: »Ich weiß es doch nicht!«
Die Montpensier zog den Dolch fort und musterte Jeanne. »Ihr seid entweder mutig oder einfach nur dumm. Wie kann ich Euch zum Reden bringen? Die Gefangenschaft hat Euch nicht mürbe genug gemacht. Habt Ihr nicht ein Kind?«
Jeanne presste die Lippen zusammen und wischte sich mit dem Ärmel das Blut vom Hals.
Die kühlen Augen beobachteten sie genau. »Es bedeutet Euch
nichts? Euer Gatte? Es soll ja vorkommen, dass Ehegatten einander zugeneigt sind!«
Jeanne verharrte stumm auf ihrem Stuhl und starrte auf die blanke Tischplatte.
»Wen gibt es noch in Eurem Leben? Einen Geliebten vielleicht? Nicht im Leben einer prüden Hugenottin.«
Erleichtert entkrampften sich Jeannes Finger.
»Ich hab’s! Euer Vater!«, rief die Montpensier.
»Nein!«, entfuhr es Jeanne, und sie reckte die gefalteten Hände. »Tut meinem Vater nichts! Bitte, im Namen Gottes, tut ihm nichts, ich flehe Euch an!«
Catherine de Montpensier stieß triumphierend den Dolch in die Tischplatte und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand unterhalb des Fensters. Ihr schlichtes Kleid unterstrich ihre zierliche, knabenhafte Figur. Der Griff, mit dem sie Jeanne gepackt hatte, sprach von unerwarteter körperlicher Kraft. Wie konnte diese Person die Tochter der souveränen und großherzigen Anna d’Este sein?
»Was kann ich tun, damit Ihr mir glaubt, dass ich von keiner Verschwörung weiß?«, sagte Jeanne leise.
»Vermutlich nichts. Doch wenn Ihr kooperiert, habt Ihr mein Wort, dass Eurem Vater kein Leid widerfährt.« Das Lächeln der Montpensier war kalt und überheblich.
Ohne zu überlegen, sprang Jeanne auf und war mit einem Satz an der Tür, die von innen nicht verriegelt war. Es gelang ihr, sie aufzureißen und sich in den Korridor zu werfen, bevor die Montpensier sie am Rock packen konnte.
»Lasst mich! Hilfe!«, schrie Jeanne.
»Was geht da oben vor?«, rief jemand aus dem Treppenhaus am Ende des Korridors.
»Steht auf!«, fauchte Catherine de Montpensier, der es nicht gelang, die um sich schlagende Jeanne durch die Tür zu schleifen. »Sonst steche ich Euch gleich hier ab!«
Der Dolch blitzte auf, und Jeanne glaubte sich ihrem Ende nah, als eilige Schritte die hölzerne Wendeltreppe emporgelaufen kamen.
»Catherine!«, herrschte Henri de Guise seine Schwester an. »Lasst sie los!« Er hielt einen Kerzenleuchter in die Höhe, in dessen flackerndem Licht das wutverzerrte Gesicht seiner Schwester einer Fratze glich.
Widerstrebend ließ Catherine von Jeanne ab und steckte den Dolch zurück in den Gürtel.
Henri kam näher und hielt die Kerze so, dass der Schein auf Jeannes Gesicht fiel. »Bei der Heiligen Jungfrau! Was habt Ihr hier zu suchen? Und Ihr stinkt!«
»Das müsst Ihr Madame fragen. Ich bin nicht freiwillig hier, wo auch immer wir sind!«, zischte Jeanne, die langsam wieder zu Atem kam.
»Wo? Wir sind im Hôtel de Guise.« Henri sah seine Schwester fragend an, die mit vor der Brust gekreuzten Armen und erhobenem Kinn vor ihm stand. »Nun, ich werde diese Sache aufklären, denn wir befinden uns in meinem Haus!«
Henri rief einen Diener und trug ihm auf, Jeanne ein Bad einzulassen und ihr frische Kleider zu geben. »Ich bin sicher, dass sich unter den Kleidern meiner Schwester etwas Passendes findet«, beendete er seine Anweisungen, und Jeanne folgte dem Diener, der sie um einen Kopf überragte. Jeanne versuchte dennoch, ihm durch einen verzweifelten Spurt zu entkommen, doch der Mann holte sie rasch ein, packte sie am Arm und sagte höflich: »Bitte, Madame, ich möchte Euch nicht wehtun. Aber der Herr hat befohlen, dass Ihr auf ihn wartet.«
Ergeben ließ Jeanne sich in ein großes Schlafgemach im ersten Stock des Hôtel de Guise führen, das die Ausmaße eines Palastes zu haben schien. Durch hohe Fenster meinte Jeanne im Vorbeigehen zwei Innenhöfe zu erkennen. Angesichts dieser Dimensionen musste es für Catherine de Montpensier ein Leichtes gewesen
sein, Jeanne unbemerkt in einem Turm zu verstecken. Im Nebenraum des Schlafgemachs wurde ein Zuber mit warmem Wasser gefüllt. Als der Diener den letzten Eimer Wasser
Weitere Kostenlose Bücher