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Die Lautenspielerin - Roman

Die Lautenspielerin - Roman

Titel: Die Lautenspielerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Finger lassen und lieber darben als von Fäulnis Befallenes essen.
    Sie gingen in die winzige Schlafkammer der Bauersleute. Die Wände waren feucht und schimmelig, die Laken, unter denen der zitternde Bauer lag, klamm. An Knien und Unterarmen verfärbte sich die Haut bereits, aber der Blick war noch klar. Gerwin legte die Hand auf die fiebrige Stirn des Kranken, schloss die Augen und konzentrierte sich. Außer dem unregelmäßigen Atem des Kranken war es still im Raum.
    »Johannes, das Feuer wird dich nicht verzehren.« Gerwin nahm die Hand fort. Der Tod hatte seine Klauen noch nicht nach Johannes ausgestreckt.

    Gertrud, die Bauersfrau, stieß einen erleichterten Schrei aus und rang die gefalteten Hände. »Dem Himmel und Euch sei Dank! Ich hätte nicht gewusst, wie ich mit allem fertigwerden soll. Die Obrigkeit presst uns aus, bis uns nichts mehr bleibt. Aber, Herr Medicus, die Glieder faulen ja schon! Und da soll er gesund werden?«
    Da Gerwin ihr seine Fähigkeit, den nahen Tod zu fühlen, nicht erklären konnte, ohne der schwarzen Magie verdächtigt zu werden, betastete er Arme und Knie des Kranken. »Das Fleisch darunter ist fest und gesund. Gib deinem Mann kräftige Brühe und verdünnten Wein, Eigelb und Honig, wenn du hast.«
    »Und Brot? Das mag er gern«, sagte Gertrud mit skeptischem Blick auf den fiebrigen Johannes.
    »Macht ihr das aus dem schwarzen Mehl?«
    Die Bäuerin zuckte die Schultern. »Das sind unsere Reste. Wir versuchen, das Hungerkorn nicht zu essen, aber jetzt ist nichts anderes mehr da.«
    Wer es sich leisten konnte, kaufte nur das reine Korn. An einem großen Teil der reifenden Roggenähren bildeten sich kornartige Gebilde von schwarzvioletter Farbe, die größer waren als die normale Ähre. Diese wurmartigen, schwarzen Missbildungen wurden unter das Hungerkorn, das Korn für die Armen, gemischt.
    »Es ist nur ein Rat, denn ich kenne die Ursache des Heiligen Feuers nicht. Doch nach allem, was ich hier gesehen habe, kann ich ausschließen, dass es von Mensch zu Mensch übertragen wird. Es kann in schlechter Luft, in stehendem Wasser oder in fauligem Essen sein. Koch Suppe aus Zwiebeln und Huhn, gib deinem Mann Milch zu trinken und mach Eierspeise, aber halte das schlechte Brot und wurmiges Fleisch von ihm fern.« Gerwin deckte den Kranken zu und ging mit Gertrud hinaus. Die Ausdünstungen des Kranken, Feuchtigkeit und Schimmel hatten ihm die Kehle zugeschnürt. Auf dem Hof sog Gerwin die frische Frühlingsluft ein. »Ich verlasse euch heute, denn meine Reise führt mich weiter nach Osten.«

    Die Bauersfrau ergriff Gerwins Hand und drückte sie fest. »Ihr habt so viel für uns getan. Wie können wir Euch jemals dafür danken?«
    »Dank mir nicht, ich habe ja oftmals nur beim Sterben zusehen können. Du hast zwei Töchter verloren.« Traurig zog Gerwin die Hand zurück. Hier war er an seine Grenzen gekommen, und er hatte zu verstehen begonnen, was es wirklich bedeutete, seine Heilkunst in den Dienst der Menschen zu stellen. An Hippolyts Seite war nichts unmöglich erschienen, weil sein Mentor für alles eine Erklärung hatte, und das bezog sich nicht nur auf dessen immenses Wissen. Der ehemalige Mönch hatte darüber hinaus ein tiefes Verständnis für die Verschiedenartigkeiten des Seins, für die verwinkelten Labyrinthe der menschlichen Seele, und er war voller Mitgefühl, rückhaltlos, ohne Einschränkung. Und davon, das hatte Gerwin sich eingestanden, war er noch weit entfernt.
    »Es war Gottes Wille. Wir werden nicht vergessen, dass Ihr in dieser schlimmen Zeit für uns da wart. Lebt wohl, Medicus.« Gertrud wischte sich die Augen, nickte Gerwin zu und ging mit Schultern, die von jahrelanger Mühsal gebeugt waren, zurück zur Küche.
     
    Am nächsten Abend trat sich Gerwins Pferd einen Nagel so unglücklich in den Huf, dass er es führen musste. Ein Flussschiffer, dem er eine ausgerenkte Schulter richtete, nahm ihn das letzte Stück auf dem Rhein mit. Aus dem gewaltigen Glockenturm des Mainzer Doms dröhnten fünf Schläge zu ihnen herunter. Vom Wasser aus wirkte die Stadt wie eine Festung, eine mächtige Burg blickte drohend über den Rhein.
    »Ist das dort das kurfürstliche Schloss?«, fragte Gerwin den Schiffer.
    Der Kahn trieb gemächlich auf dem ruhigen Wasser dahin. Gerwins Pferd stand ruhig inmitten der Ladung und schien die vorbeiziehende Landschaft zu betrachten.

    »Vorn der trutzige Kasten ist die Martinsburg. Diether von Isenburg, der vormalige Kurfürst, hat sie bauen

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