Die Lautenspielerin - Roman
ein Bündel vom Boden auf. »Weiter!«
Durch die Last wurden sie langsamer, und die Söldner holten auf. Sie hatten sich aufgeteilt, was ihre lauten Stimmen verrieten, die durch alle Gänge hallten. Hier und da flackerte eine Fackel auf, und wenn sie nicht bald den Ausgang erreichten, würden sie ihr Ende im Hades von Paris finden. Keuchend schleppte Gerwin sich vorwärts, darauf bedacht, den Kontakt zur Wand nicht zu
verlieren und nicht auf dem unebenen Boden zu stürzen. Sie lebt, dachte er nur, betete um ein Wunder, an das er zu glauben bereit war, und verdrängte die stechenden Schmerzen in den Lungen. Endlich schimmerte in der Ferne Licht, Tageslicht!
»Wir sind gleich da!« Hippolyt beschleunigte seine Schritte.
»Da vorn sind sie!«, brüllte Franz hinter ihnen, und Fackelschein erfasste sie von hinten.
Gerwin packte Jeanne fester, denn mit jedem Schritt schien der bewegungslose Körper schwerer zu werden, und warf einen Blick zurück, konnte jedoch nur Hinriks Rücken sehen, der sich gegen den Schein einer am Boden liegenden Fackel abzeichnete. Franz musste sie aus der Hand geworfen haben, um Hinriks Angriff abwehren zu können. Klingen schlugen aufeinander, gefolgt von dumpfen Kampfgeräuschen. Hippolyt hatte das Tor zum Friedhof erreicht und es aufgestoßen.
»Komm her, schnell!«, rief er und kam zurück, um Gerwin zu helfen.
Gemeinsam legten sie Jeanne neben einem Busch ab, warfen kurz einen Blick auf die Leichenberge und die offenen Massengräber und sahen noch, wie sich die Totengräber und eine Horde bewaffneter Bürger in ihre Richtung bewegten, bevor sie Hinrik zu Hilfe eilten. Der tapfere Hauptmann taumelte ihnen entgegen, den Degen mit Mühe haltend, und Gerwin sprang vor und hieb dem rasenden Franz auf den Schwertarm.
Der Sachse brüllte auf, ließ die Waffe fallen und wollte sich auf Gerwin stürzen, doch der hielt ihm den Degen entgegen und spürte, wie die Klinge durch Leder und Fleisch fuhr. Franz brach mit einem gurgelnden Laut zusammen. Aus der Finsternis der alten Abwasserkanäle näherten sich die Verfolger, und Gerwin zog den Degen aus dem Sterbenden, packte zusammen mit Hippolyt den verwundeten Hinrik und brachte ihn nach draußen zu Jeanne.
Dort standen bereits die Leichenfledderer und rissen an
Jeannes Kleidern. »Lasst sie in Frieden!«, schrie Gerwin und hob den Degen. »Jeanne ist nicht tot!«
»Aber sie sieht so aus!«, kreischte ein Alter mit einer zahnlosen Mundhöhle. »Und gleich werdet ihr ebenso aussehen, und wir werfen euch einfach in die Grube. Was wollt ihr dagegen tun?«
Die Beutegierigen johlten und feixten und schoben sich immer dichter an sie heran. Gerwin und Hippolyt standen Seite an Seite und sahen dem Tod bereits ins Auge, als eine helle Frauenstimme die Masse zum Stehen brachte.
»Lasst mich durch! Wo ist diese Jeanne?« Coline trat vor und schlug sich die Hand vor den Mund, als sie die ohnmächtige Jeanne erblickte. »Bei der Heiligen Jungfrau, ihr Simpel! Das ist meine Cousine aus der Bretagne. Lasst sie zufrieden! Rancurôle, komm her und hilf!«
Gerwin und Hippolyt senkten ihre Waffen. »Ihr seid ein Engel!«, sagte Gerwin zur Sulzerstochter, die ein weißes Kreuz auf ihre Schürze genäht hatte.
Ihr rundes, rosiges Gesicht strahlte. »Monsieur, das ist mein Mann, der berühmte Rancurôle. Berühmt für die besten Pasteten von Paris!«, sagte sie stolz und wies auf einen wohlgenährten jungen Mann, an dessen Arm eine weiße Binde befestigt war.
»Coline, was befehligst du schon wieder?« Mit gerunzelter Stirn schob er sich durch die unruhige Menge, die noch immer auf Beute hoffte.
Aus dem Gang hinter ihnen stürzten Franz’ Kumpane und blieben angesichts der bewaffneten Menge stehen. »Das sind unsere! Wir haben die Ketzer verfolgt. Sie gehören uns!«, sprach ein rot gewandeter Söldner.
»Du hast hier gar nichts zu sagen! Ich bin der Viertelmeister Rancurôle, und diese Leute stehen unter meinem Befehl«, erwiderte der dicke Pastetenbäcker mit gerecktem Kinn. Die Horde bewaffneter Meuchler hinter ihm gab ihm recht.
»Dann lasst uns passieren!«, forderte der Söldner.
»Geht dahin, woher ihr gekommen seid!«, befahl Rancurôle, und die furchteinflößenden Gestalten seiner Horde machten einen Schritt auf die Söldner zu, die sich in die Dunkelheit der Kanäle verzogen.
»Deine Cousine und ihr Gatte, nehme ich an?«, meinte Rancurôle und grinste. »Und das sind deine Onkel?«
»Ja, das sind sie. Oh, wie lange haben wir uns nicht
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