Die Lautenspielerin - Roman
Türen blickten sie auf eine Balustrade. Zwei Frauen standen dort nebeneinander - Katharina und ihre Tochter Margot. Beide sahen hinunter in den Innenhof.
»Eure Majestät! Auf ein Wort!«, rief Hippolyt, während die Wachen näher kamen.
»Was wollt ihr Irren hier?«, höhnte ein Wachmann und zog sein Schwert.
»Pro libertate, pro caritate!« , schrie Hippolyt so laut, dass Katharina de Medici es hören musste.
Gebannt starrten Gerwin und Hinrik auf den Rücken der alten Königinmutter. Margot stand wie gelähmt an der Balustrade und rührte sich nicht.
Der Wachmann hob sein Schwert. »Kannst latinisieren, wie du willst, du gehst den Weg, den alle Ketzer gehen müssen!«
»Halt!« Die scharfe Stimme Katharinas brachte das Schwert in seine Scheide zurück, ohne dass die Klinge Blut geleckt hatte. »Bringt sie her!«
Das aufgedunsene Gesicht der alternden Herrscherin glänzte ölig, auf der Oberlippe sammelten sich Schweißperlen. Der schwarze Stoff ihres Kleides zeigte weiße Ränder unter den Achseln, und die vielen Ringe schnürten in das weiche Fleisch ihrer dicken Finger. Wie ein Triumphator sah sie nicht aus. Der
Ausdruck ihrer konzentriert blinzelnden Augen war müde. »Geh zu deinem Mann, Margot. Überzeug ihn davon, dass er und sein Vetter Condé konvertieren müssen, wenn sie in diesem neuen Frankreich leben wollen.«
Margots Kleid war blutverschmiert. »Heinrich wird nicht von seinem Glauben lassen! Würdet Ihr das, Messieurs? Nein! Mein Gott, im Namen aller Heiligen und der Barmherzigkeit, die Euch, in deren Adern das Blut der Medici und der Borgia fließt, fremd ist …«
»Halt den Mund, Margot, und geh zu deinem Mann! Tu, was ich gesagt habe, wenn dir an ihm liegt, denn du scheinst ja trotz allem Gefallen an ihm gefunden zu haben.«
Margot presste die Lippen zusammen und rannte davon.
Hippolyt stand zwei Schritte von der Frau entfernt, in deren Dienst er und seine Brüder ihr Leben gestellt hatten. Katharina de Medici sah ihn an. Es zuckte um ihre Mundwinkel, und plötzlich wandte sie sich ab und suchte Halt an der Balustrade. Ihr gebeugter Rücken hob und senkte sich im engen Korsett ihres schwarzen Witwenkleides, doch heute trug sie Trauer für Tausende unschuldige Tote. Sie hob einen Finger und zitierte Hippolyt neben sich. »Seht Ihr das?«
»Natürlich, Majestät, und …«, begann Hippolyt, wurde jedoch unterbrochen.
»Glaubt Ihr denn, ich weiß nicht, was Ihr sagen wollt? Glaubt Ihr denn, ich kann Euren vorwurfsvollen Mienen nicht ansehen, welche Gedanken Ihr hegt? Glaubt Ihr denn, ich habe das gewollt?«, sagte sie, ihre Stimme klang alt, matt und brüchig.
»Ihr habt es zugelassen, Majestät«, sagte Hippolyt und starrte unverwandt in den Hof, in dem sich die Leichen stapelten. In der Hitze setzte der Verwesungsprozess umgehend ein. Es war eine Frage von Stunden, wann die Pest ausbrechen würde.
Gerwin konnte die schwarzen Schatten sehen, die sich über die nackten Leiber bewegten. Die Ratten feierten Sankt Bartholomäus auf ihre Weise.
»Nein, nein, das habe ich nicht gewollt! Der Admiral und die Wortführer mussten sterben, aber dann hat sich das Morden verselbständigt. Seht Ihr?« Sie deutete in den Hof, wo die Henkersknechte mit ihren Hellebarden hinter Flüchtenden herpreschten, sie aufspießten, ihnen die Kleider vom Leibe rissen und sie plünderten. Wenn der Ring nicht vom Finger wollte, wurde der Finger abgeschnitten.
Gerwin atmete schwer und hätte die Medici am liebsten über die Brüstung gestoßen, doch Hinrik hielt ihn am Arm gepackt und murmelte: »Ruhig, Gerwin. Wenn wir hier lebend herauskommen, konvertiere sogar ich.«
»Ich sehe es, Majestät, und es war nicht anders zu erwarten. Jeder, der Paris in den vergangenen Wochen erlebt hat, hätte diesen Wahnsinn vorhersagen können, und deshalb sage ich noch einmal: Ihr habt es zugelassen.«
Die dicken Finger krallten sich fest um die Balustrade. »Es war zu spät. Ich konnte sie nicht mehr aufhalten.«
Hippolyt trat einen Schritt zurück und verneigte sich. »Unter diesen Umständen bitte ich Eure Majestät in aller Demut, uns aus Euren Diensten zu entlassen. Unter diesen Umständen, Majestät, fühle ich mich meinem Eid nicht länger verpflichtet.«
Katharina sprach mehr zu sich selbst als zu Hippolyt: »Niemand kann diesem Wahnsinn ein Ende setzen, nicht einmal der König!«
Von der Galerie auf der anderen Seite klangen hysterische Schreie und Gelächter herüber, und sie sahen, wie der König mit einer
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