Die Lautenspielerin - Roman
Armbrust auf Flüchtende zielte.
»Wie fröhlich er ist! So ausgelassen ist er sonst nur auf der Hirschjagd …«, sinnierte die Königinmutter.
Hippolyt drehte sich um und winkte seinen Freunden, ihm zu folgen. Als die Stimme der Medici sie erreichte, erstarrten sie, und Hinrik legte die Hand auf seinen Degen.
»Unter den gegebenen Umständen, Meister Hippolyt, blieb
mir keine Wahl. Da es mir nicht gelang, geliebt zu werden, musste ich mich dafür entscheiden, gefürchtet zu werden«, sagte die Königinmutter.
»Ihr habt Euren Machiavelli schlecht gelesen, Majestät. Wenn ein Fürst sich die Liebe seines Volkes nicht erhalten kann, so darf er zwar gefürchtet, doch nicht gehasst werden. Sola deis aequat clementia nos 41 , Majestät.«
Gerwin würde nie den Ausdruck von Trauer und Schuld in den Augen Katharina de Medicis vergessen, nur einen Wimpernschlag lang, dann versteinerte ihre Miene und ließ keinen Zweifel daran, wer der wahre Herrscher Frankreichs war.
In einem der Gänge in dem Schlachthaus, zu dem der Louvre geworden war, stießen sie auf den Schweizergardisten Kreyfuß, der sie zu einem Nebenausgang an der Rue de Rivoli brachte. Sie kamen überein, zuerst Jeanne und ihren Vater zu suchen, bevor sie sich im Haus von Lady Dousabella, die - so hofften sie - diplomatischen Schutz genoss, treffen wollten, um dort über das weitere Vorgehen zu entscheiden.
Kaum hatten sie die Rue de Rivoli erreicht, wurden sie vom wütenden Strom der entfesselten Massen mitgerissen. Ohne Unterlass brüllten die Irrsinnigen nach mehr Blut und rochen in jedem Haus Hugenotten. »Heraus mit den Ketzern! Tötet die Teufel!«
Wer sich nicht als Katholik ausweisen konnte, weder eine weiße Armbinde noch ein weißes Kreuz am Gürtel trug, war dem Tode geweiht. Mehr noch als der Hass auf den anderen Glauben trieb die Schlächter ihre Gier nach Beute an. Gerwin, Hippolyt und Hinrik versuchten, sich nicht aus den Augen zu verlieren, während sie hilflos zusehen mussten, wie der Pöbel die Häuser von Hugenotten nach Waffen, Stiefeln, Silber, Geld und allem, was wertvoll schien, durchsuchte.
»Ich nehme mir den Laden von Bertin vor! Mit dem habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen!«, rief ein blutbeschmierter Mann vor Gerwin seinem Kumpan zu, der sich neben erbeutetem Schmuck ein Paar Stiefel umgehängt hatte.
In der Rue Saint-Honoré trafen sie auf den ersten Wachtposten der Bürgerwehr. »Sag kein Wort, Gerwin. Dein Akzent würde dich verraten«, zischte Hinrik ihm ins Ohr.
»Wie ist die Losung?«, fragte der grobschlächtige Kerl und richtete die Pistole auf Hippolyt, der seine Tasche festhielt und nach Luft rang.
»Wir sind gute Katholiken! Bei der Heiligen Jungfrau schwöre ich, dass wir auf dem Weg zum Hôtel de Guise sind, um dort medizinischen Beistand zu leisten. Ich begleite diese ehrenwerten Ärzte, die der Königinmutter selbst dienen«, erklärte Hinrik mit großer Würde und einer Hand am Degen.
Gerwin war bereit, seinen Dolch zu ziehen, um ihn dem ersten Wachtposten, der sich ihm in den Weg stellen würde, zwischen die Rippen zu rammen.
»Zum Herzog? Warum sagt Ihr das nicht gleich?« Er nannte ihnen die Losung, mit der sie weitere Sperren passieren konnten, und sie wurden durchgelassen.
»Schau dir den Geldsack an! Der sieht mir doch ganz wie ein hugenottischer Adeliger aus!«, brüllte der Wachtposten und schüttete sich schier aus vor Lachen über einen, der sich nicht so geschickt zu verkaufen wusste wie Hinrik.
Je näher sie dem Cimetière des Innocents kamen, desto leerer wurden die Straßen. In den Boulevards und Gassen dieses Bezirks hatte der Pöbel gleich nach dem Mord an Coligny gewütet. Die Leichen lagen nackt in grausamen Verrenkungen auf dem Pflaster.
»So muss die Hölle aussehen«, murmelte Gerwin. Straßenköter und Ratten taten sich an den blutigen Leichen gütlich und zerrissen selbst den zarten Körper eines Neugeborenen. Gerwin
übergab sich an einer Hauswand. Als er die Hand fortnahm, mit der er sich abgestützt hatte, klebte sie von Blut.
»Komm. Da vorn ist das Haus von Paullet. O Himmel, sie waren schon dort!«, sagte Hinrik. »Lass mich zuerst nachsehen!«
»Nein!«, schrie Gerwin und stürzte durch die aus den Angeln gerissene Tür in die Halle. Er zog seinen Degen und suchte nach bekannten Gesichtern unter den Leichen.
Am Treppenabsatz lag Cosmè, nur mit einem Hemd bekleidet. Eine abgebrochene Pike steckte in der Brust. Gerwin erkannte den alten Majordomus, eine der
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