Die Lava
Ruck. Hatte sich die Mutter von der Schraube gelockert? Ein neuerlicher Versuch – ja, die Mutter gab nach. Unendlich langsam drehte sie sich, widerwillig, aber sie drehte sich. Er durfte sie nicht zu weit lösen, sonst bestand die Gefahr, dass es noch jemand bemerkte.
Aber sie drehte sich! Er hatte es geschafft: Die Mutter saß locker. Endlich! Gut so!
»Ich will, dass Sie alles noch einmal überprüfen«, rief MacGinnis.
Der dicke Mann mit dem wilden Vollbart, der Chef der Truppe, blickte jetzt scharf und durchdringend zu ihm hoch. Der Typ hatte ihn schon vor dem Sturzregen ausgiebig beobachtet. Hatte er etwa Verdacht geschöpft?
Hinter dem griesgrämigen Mann stand ein Zwei-Meter-Kerl mit schlohweißem Haar, er besprach etwas mit dem Typ, der – nach seiner Statur zu schließen – wohl der Taucher gewesen war, auf den sie im See geschossen hatten. Alsolebte der Kerl. Gut! Der Schatzsucher musste sich jetzt auf den Kran konzentrieren.
Olav Bernick lockerte die Schraube an dem Kranarm mit einem letzten kräftigen Stoß ein winziges Stück weiter, aber nicht weit genug, dass sie abstand und so auffiel. Aber jetzt nichts wie weg!, dachte er erlöst. Er probierte es noch einmal: Die Schraube ließ sich etwas drehen, aber nicht weit genug, dass sie wirklich ihren Halt verlor. Sie rastete nach wenigen Millimetern wieder ein und steckte so starr und fest in der Mutter wie zuvor. Mist!
Plötzlich, in einer blitzartigen Eingebung, begriff er, das Werkzeug saß noch an der Mutter: Hier handelte es sich um einen hochmodernen Pneukran – ein hochkomplexes, vielfach verschweißtes, vernutetes und abgesichertes Instrument. Allein die Tatsache, schoss es ihm durch den Kopf, dass er diese Mutter hatte lösen können, zeigte schon, dass sie für die Gesamtstatik nebensächlich und erlässlich war. Ich bin ein Idiot!, dachte er und wischte sich den Schweiß aus der Stirn, wie konnte ich nur so blöd sein! Ich gehe hier ein großes Risiko ein für einen solchen Blödsinn! Dann fiel ihm das Schlepptau ins Auge, ein aus vielen Strängen gezwirbeltes Stahlseil, und er griff mit der Hand an die Seitentasche seines Monteuranzugs, in dem er das scharfe Tauchermesser erfühlte – stark genug, um Korallen aufzubrechen und Haihaut aufzuschlitzen. Und er lächelte.
Dann zog er sein SEK-Messer aus der Scheide.
Er warf einen letzten Blick auf sein Werk, bevor er wieder auf das Metallpodest kletterte, auf das der Kran montiert war. Er hatte es also tatsächlich geschafft, das Stahlseil anzuschneiden. Er hatte keine Ahnung, ob das die Bergung zu verhindern vermochte. Doch zumindest war es einen Versuch wert. Er erwachte aus seinem Adrenalinrausch, genoss die Endorphine, die nun durch seinen Körper jagten. Jetzt nahm er die Hektik wieder wahr, die überall auf dem Platzherrschte, hörte die kurzen Befehle, das Kreischen von Sägen und das Klopfen von Hämmern, sah diese verdammten Engländer am Seeufer stolzieren, als gehöre das Gewässer ihnen.
Er sprang vom Podest auf den Boden und blickte zufrieden auf sein Werk. Dann schlich er sich davon. Niemand bemerkte ihn, alle waren zu sehr damit beschäftigt, den nächsten Tag vorzubereiten.
Andrew Neal wartete, zum letzten Mal, wie er hoffte, seinen Sonar-Fisch. Joe Hutter brütete über den Skizzen des Wracks. Der Nordengländer stand auf dem Bootslandesteg und überprüfte das Schlauchboot, mit dem Joe auf den See fahren würde, um die Gerüste für das Wrack zu versenken und dann die Stahltrossen daran zu befestigen.
Joe blickte auf den See, dessen Wasser grau vor ihm lag, mit einzelnen bernsteinfarbenen Tupfern aus Sonnenlicht. Dort draußen, Richtung Seemitte, lag fast starr die Hauptboje, die den Flugzeugruheplatz anzeigte, darum verteilt die vier kleineren Schwimmkörper, welche die beiden Flügelspitzen, das Schwanz- und das Kopfende der Halifax markierten. In Richtung des Waldrandes montierten mehrere Arbeiter die letzten Streben an das stumpfe Stahlskelett, das die Reste des Wracks im See umschließen sollte, stellten andere die Betonpflöcke für die Bühne auf, auf der die Halifax zum Liegen kommen sollte. Nur wenige Handgriffe fehlten, und alles würde bereitstehen.
Joe empfand keine Aufgeregtheit. Er fühlte sich, als stünde er unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln. Er spürte, dass er völlig ausgelaugt und erschöpft war. So verhielt es sich jedes Mal, bei jedem Auftrag: Der nahe Erfolg machte ihn müde. Nur noch einen Tag, dann war es erledigt! Wenn alles
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