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Die Lava

Die Lava

Titel: Die Lava Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Magin
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klappte, war morgen die Gefahr vorüber, der Drachen erschlagen, das Bakterium vernichtet.
    Joe betrachtete den Kran, über dem die jetzt schon niedrige Sonne im Westen stand.
    MacGinnis klatschte in die Hände, die Wangen leicht gerötet vor Aufregung. »Morgen, meine Herren, beginnen wir damit, das Wrack aus dem See zu heben!«, rief er atemlos. Es war ein seltener Anblick, MacGinnis so froh und zufrieden zu sehen. An diesem Tag strahlte er vor bester Laune.
    Bernick zwinkerte Gerd Schmidtdresdner zu, als er an ihm vorüberging, um zu bedeuten, dass alles zu seiner vollsten Zufriedenheit erledigt worden war.
    Schmidtdresdner lächelte, als er das Treiben am Ufer betrachtete.
    Morgen war der entscheidende Tag
    Vor wenigen Tagen hatte er zugesehen, wie ein kleiner Junge auf dem Parkplatz vor dem Kloster eine Ameisenstraße entdeckt hatte. Zuerst betrachtete er die kleinen Insekten aufmerksam, wie sie Nadeln und Sandkörner schleppten. Seine Zunge leckte aufgeregt über die Lippen. Dann hüpfte der Bursche auf einem Bein die Straße entlang, vor Vergnügen quietschend, und zermatschte mit jedem Schritt mehrere der eifrigen Insekten. Es stimmte: Wenn Ihr nicht werdet wie die Kinder …
    Er öffnete die Kladde und nahm den Federhalter in die rechte Hand. Vor ihm lag, aufgeklappt, das heilige Buch.
    Welchen Gewinn hat der Mensch von all seiner Mühe? Eine Generation vergeht, die nächste kommt; die Erde aber bleibt ewig. Die Sonne geht auf und geht unter und läuft zurück zum Ausgangspunkt, und dort geht sie wieder auf. Der Wind weht nach Süden und kommt nach Norden und wieder zurück an den Ort, an dem er anfing. Alle Wasser fließen ins Meer, doch wird das Meer nicht voller; an den Ort, von dem sie her fließen, fließen sie wieder hin. Das Auge sieht sich niemals satt, und das Ohr hört sich niemalssatt. Was ist eben geschehen? Dasselbe, das wieder geschehen wird. Was habe ich getan? Was ich immer wieder tun werde; denn es geschieht nichts Neues unter der Sonne. Geschieht denn etwas, wovon man sagen könnte: Siehe, es ist neu? Es ist zuvor auch geschehen in den langen Zeiten, die vor uns gewesen sind.
    Er betrachtete zufrieden die Seiten. Das war unvergängliche Weisheit, vor über zweieinhalb Jahrtausenden aufgeschrieben und immer noch gültig. Und doch sollte nun das Ende der Zeiten kommen. In aller Bescheidenheit diente er als der Prophet des Untergangs.
    Er blätterte um, setzte den Füllfederhalter erneut an und schrieb in seinen schönsten, präzisesten Buchstaben: Ich sah mir alles an, was unter der Sonne geschieht; und siehe, es war alles eitel und nichtig, ein Haschen nach dem Winde. Denn alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen ist wie die Blumen der Wiese, das Gras verdorrt, die Blume fällt ab.
    Er sah aus dem Fenster auf den See, in dem sich die Sonne spiegelte. Er seufzte. Es musste sein: Ich werde eine neue Erde schaffen, ich befreie sie von ihrer Last. Der erste Himmel und die erste Erde verging, und das Meer ist nicht mehr. Und abgewischt werden sein alle Tränen von den Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, und weder Leid noch Geschrei noch Schmerz wird noch sein; denn das Erste ist vergangen. Siehe, ich mache alles neu!
    Er blickte auf. Dann schrieb er die letzte Zeile und unterstrich sie mehrmals: Das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden.
    Er klappte das Tagebuch zu und legte es in die Schublade. Es war endgültig an der Zeit, die Welt zu erlösen. Er stand auf, erfasste mit einem Blick das Ufer, den Kran und die Taucher. Er lächelte.
    Es wird ein Tag sein, an dem die Menschen zerstreut werden wie die Motten und die Berge zerfasert wie Wolle. Und all jene, deren Taten auf der Waage nach oben steigen, sie werden den Abgrund als Wohnstatt haben.
    Dunkel und Finsternis, sie werden die gesamte Welt umhüllen. Die Wasser werden sich in feurige Kohle verwandeln, alles wird brennen. Selbst das Meer wird zu Feuer werden. Ein bitteres, niemals verlöschendes Feuer wird unter dem Himmel fließen als Zeichen des Zorns des Gerichtes.
    Dann wird kein Übel mehr sein, noch Lügen.
    Der richtige Moment würde bald kommen. Das spürte er.
    Nein, das wusste er.
    Sie fuhren in einem kleinen Boot mit Außenbordmotor zu der Stelle. Grünes Wasser, mit weißen, wirbelnden Schaumkronen besetzt, gurgelte die Bordwand entlang. Joe Hutter und Andrew Neal trugen Taucheranzüge, der schweigsame Nordengländer steuerte und sollte dann, wenn Hutter und Neal im See waren, immer wieder

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