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Die Lava

Die Lava

Titel: Die Lava Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Magin
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Tourismus aufzubereiten – man erwartete damals bis zu 100 000 Besucher pro Jahr. Allerdings machten uns da die Umweltschützer« – der Fremdenführer sprach das Wort mit aller Verachtung aus – »einen Strich durch die Rechnung. Auf der Insel brüten Schwarzmilan, Pirol, Gelbspötter, Klein- und Grünspecht, und die sollten ihre Ruhe haben. Glücklicherweise setzte sich die Vernunft durch, und somit sind Sie heute hier.«
    »Wie lange dauert das noch?«, fragte der Sohn.
    »Höchstens noch fünf Minuten!« Die Frau spähte kurz auf die Uhr, nickte dann.
    Sie hoffte, dass der Mann nicht die ganze Zeit über weiterreden wollte. Es war schon schwer genug gewesen, eine der limitierten Karten für eine der rund dreißig Gruppen zu bekommen, die jedes Jahr im Rahmen einer Schiffstour auf die Naturschutzinsel durften. Auch die Gesichter der anderen Touristen, die um sie herumstanden, verrieten eher Langeweile als Interesse.
    Der Mann fügte Datum an Datum, Detail an Tiefenangabe, Informationen zum Wasserdruck an Statistiken über Besucherzahlen. Sie hörte nicht zu, weil sie auf ihren Sohn achtete, der immer ungeduldiger wurde.
    »Lassen Sie mich hiermit zum Ende kommen«, führte der Fremdenführer endlich aus. »Ich öffne jetzt den Schieber.«
    Für die Zuschauer verborgen, befand sich das obere Ende des Rohrs hinter einem Stapel Bruchsteine. Sie gaukelten ein natürliches Ambiente vor. Es dauerte ein paar Sekunden, dann hörte man ein lautes Plopp!
    »Aaah!«, tönte es aus dreihundert Mündern.
    Wie in Zeitlupe schäumte die Fontäne nach oben – immer höher, bis in den Himmel hinauf. Nach einer Minute lag ihre Spitze auf einer Höhe mit den Wipfeln der umstehenden Pappeln und Weiden, dann stieg sie auf dreißig, vierzig, vielleicht fünfzig Meter, dann noch höher.
    Die Erde zitterte, was all jene verblüffte, die dieses Naturschauspiel nicht zum ersten Mal sahen. Und noch etwas war anders als sonst: Blutrot wallte das Wasser, als es emporquoll – von gelösten Eisenteilchen, wie die Zuschauer später in den Abendnachrichten erfuhren.
    Mit einem lauten metallischen Geräusch, als prallte ein Auto gegen ein anderes, platzte das Rohr, das den Geysir aus den tiefen Erdschichten nach oben brachte. Mit aller Gewalt schoss das Wasser heraus.
    Eine frische Brise kam auf, zerzauste die Haare der Touristen. Als die Fontäne in sich zusammenbrach, trieb der Wind Wassertropfen in die Zuschauermenge – einen feinen feuchten Nebel. Fein und feucht und kochend heiß.
    Die Menge begann zu schreien. Aus vereinzelten Aufschreien und Schmerzensrufen formte sich ein gemeinsames Klagen. Die Zuschauer hielten sich die Hände vor das Gesicht, versuchten, ihre Augen zu schützen, duckten sich. Manche legten sich flach auf den Boden; alle in dem hilflosen Versuch, dem Sprühregen aus siedendem Wasser zu entgehen, der auf sie niederprasselte und jede Hautpartie, die er traf, schmerzhaft verbrannte.
    Panik entstand.
    Theresa packte sich ihren Sohn und lief davon – einfach nur fort. Ein Ruck ging durch die Zuschauer: eine Fluchtbewegung fort vom Geysir, hin zu den Eingängen, zum Bootssteg, weg von den Schmerzen und Stichen, die jeder einzelne Tropfen verursachte. Der Sprudel röhrte, und in das Donnern mischten sich die spitzen Schreie der Verletzten.
    Wie eine Herde kopfloser Tiere bewegten sich die Zuschauer die Wiese hinab. Ein Kind fiel auf den Boden, krümmte sich zusammen, um den trampelnden Beinen und Füßen zu entgehen, die rechts und links von ihm auf den Boden stampften. Einige Erwachsene, von denen keiner auf den Boden blickte, stapften wild darüber, das Kleine schrie hilflos auf und rief verzweifelt nach seiner Mutter. Eine Frau beugte sich hinab, hielt ihren Körper wie einen Schutzschild über das wehrlose Kind, fasste es dann beherzt mit beiden Armen, zog es hoch und trug es in Sicherheit.
    Ein älterer Mann schleppte seine Gattin aus der Menschenlawine heraus und setzte sie auf einem Stein ab. Er atmete schwer vor Anstrengung. Die Menschen brandeten ans Ufer des Rheins und wichen ängstlich vor den moosgrünen Strudeln des Flusses zurück, weil sie sich nicht ins Wasser wagten. Sie waren bestimmt längst aus dem Bereich des Geysirs heraus, mussten keine weiteren Schmerzen befürchten. Sie rutschten auf den toten, vom heißen Wasser gekochten und von den Rheinwellen an Land getragenen Fischen aus.
    Der Boden vibrierte, dann bebte er und platzte auf. Aus dem Krater kam nicht mehr länger nur eine schmale Fontäne;

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