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Die Lava

Die Lava

Titel: Die Lava Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Magin
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holten sie die Stimmen der Leute ein.
    Ihre Schritte platschten, wenn sie auf den feuchten Boden traten. Joe starrte angestrengt geradeaus.
    »Der Regen hat unseren Ausflug versaut. Und jetzt ist er schon zu Ende«, sagte Franziska gegen das Prasseln der Regentropfen.
    »So ein paar Tropfen erschüttern einen echten Schotten doch nicht!«, erklärte er dann trotzdem aufgeräumt. »Da muss schon ein bisschen mehr vom Himmel kommen! Aber …«
    »Aber?«, rief Franziska fragend.
    Schweigen.
    »Aber«, antwortete Joe nach langer Zeit, »das muss ja nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir uns sehen. Wir können …«
    »… uns vor dem Einschlafen eine SMS schicken«, ergänzte Franziska. Das hatte sie, ohne zu überlegen, gesagt, und schon hätte sie sich dafür ohrfeigen können. Aber sie war direkt, und wenn Hutter das nicht mochte – sein Pech. Sie bedauerte nur, dass es anzüglicher klang, als sie das gewollt hatte. Es sollte liebevoll klingen, interessiert – aber man sollte einem Mann keine Vorstellung von einer Frau im Bett in den Kopf setzen, wenn man ihn nur nett findet und besser kennenlernen möchte.
    Joe blieb ganz Gentleman. »Ja«, keuchte er, »das sollten wir tun. Vorm Einschlafen, nach dem Aufstehen … und jeden Tag um genau 15 Uhr!«
    »Ich will auch eine SMS«, krähte Clara von ganz oben.
    »Du auch«, erwiderte Joe.
    Endlich kamen sie am Wagen an. Joe schloss auf, und Franziska und Clara schlüpften hinein. Die Scheiben beschlugen sofort.
    Joe blieb im Regen stehen, er wartete, bis der seltsame Mann, der hinter ihnen den gleichen Weg gegangen war, völlig erschöpft ebenfalls am Parkplatz eintraf und sein Auto aufschloss. Und während der Regen auf ihn herabprasselte, stand Joe da und blieb auch stehen, bis der Mann seinen Wagen gestartet hatte und ganz langsam vom Parkplatz fuhr.
    Erst dann stieg er ein, holte einen völlig feuchten Block aus seiner Hose und trug zu Franziskas Verwunderung das Kennzeichen des Autos ein, mit dem der Mann weggefahren war.
    Danach war Joe sichtlich entspannter. »Na, wer braucht ein Handtuch?«, rief er fröhlich.
    »Ich!«, antworteten Franziska und Clara wie aus einem Mund.
    »Hier im Auto habe ich keines.« Er fischte ein Päckchen Papiertaschentücher aus dem Handschuhfach, öffnete es und reichte es Franziska. »Zumindest das Gesicht könnt ihr euch abtrocknen.«
    Er schaute durch die Scheibe auf den prasselnden Regen. »Wie der Wind pfoff! Und wir waren mittendrin!«
    »Das gibt es gar nicht, pfoff«, verbesserte Clara.
    »Pfeifte«, korrigierte sich Joe, und Clara krähte vergnügt.
    Franziska stieß sie in die Seite, um sie zum Schweigen zu bringen.
    »Ist schon gut«, sagte Joe und rubbelte sich selbst trocken, »dann musst du mir eben richtiges Deutsch beibringen.«
    Immer kühnere und höhere Bögen aus harten Gitarrenriffs türmten sich in seiner Vorstellung zu einem abstrakten, weit aufragenden Gebilde. Ever fallen in love, sangen die Buzzcocks in seinem Kopf, with someone you shouldn’t have fallen in love with?
    Präzision war wichtig. Aber sie war nicht alles. Eines der Hauptcharakteristika des Lebens, stellte Joe fest, war dessen Unberechenbarkeit. Die Anarchie, das Chaos, der Zwang zur Improvisation. Er fühlte Sand im Getriebe seines Uhrwerks. Und er genoss es.
    No man is an island . Niemand ist eine Insel. Der Dichter John Donne hatte das vor über vierhundert Jahren gesagt.
    Aber John Donne irrte: Joe Hutter war eine Insel. Er stand allein hier, hatte keine Familie mehr. Seine Eltern waren zwei Jahre zuvor bei einem Autounfall tödlich verunglückt, sein Großvater war im Zweiten Weltkrieg bei einem mysteriösen Unfall gestorben.
    Sicher, er hatte Freunde, doch Freundschaften pflegte er nur zwischen seinen Aufträgen. Es ging nicht anders. Daswar schwer genug: Habe mal Freunde, die du wegen deines Jobs immer belügen musst. Weil alles geheim ist, was du tust.
    Freundschaften innerhalb der Gruppe galten als unerwünscht. Jeder hielt sich dran; wenn nicht, wusste MacGinnis das schon zu unterbinden. Er lebte hier als Fremder in einem fremden Land. Und sobald dieser Auftrag beendet sein sollte, würde es ihn in das nächste fremde Land verschlagen, mit neuen, unbekannten Kollegen.
    Der Unfall seines Großvaters war eines der vielen Dinge, über die man in seiner Familie nicht sprach. Es gab keine Probleme, hatte keine zu geben, und wenn, dann half es, in der Familienbibel nachzuschlagen. Er wünschte sich, dass es seinen Eltern nun gut ging,

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