Die Lava
ebenfalls seine Hand und formte mit Daumen und Zeigefinger das OK-Zeichen. Er sah dabei zur Seite, weder zu dem anderen Taucher hin noch zu Joe.
Zögernd blickte Joe auch in diese Richtung – und dort schwebte ein dritter Taucher!
Bevor Joe überlegen konnte, was er tun sollte, raste auch schon eine Harpune auf ihn zu.
Joe hielt die Luft an.
Dann traf ihn der Schuss.
Der Schmerz ergriff seinen ganzen Körper, überwältigte ihn.
Sein Kopf dröhnte, die Arme wurden ihm schwer, seine Bewegungen träge und langsam. Ihm wurde schwarz vor Augen. Dann verlor er das Bewusstsein.
Er sank in die Tiefe.
Warum rief Joe nicht an?
Sie hatten doch ausgemacht, dass er sich um 15 Uhr melden sollte.
Nun war bereits 15.30 Uhr, und sie hatte noch immer keine SMS von ihm erhalten!
Franziska starrte auf das Display ihres Handys. Sie hatte schon die Akkus herausgenommen und neue hineinschnappen lassen, um sicherzugehen, dass es nicht an den Batterien lag. Hatte er es vielleicht in diesem Augenblick versucht?
Sie fürchtete, dass sie sich in etwas hineinsteigerte. Sicher, Joe Hutter war ein netter Kerl, und die Art und Weise, wie er sie beim Brubbel aufgefangen hatte, wie er von sich aus das mit den SMS vorgeschlagen hatte – dafür gab es nur eine Erklärung: Er mochte sie.
Andererseits: Taten Männer nicht ohnehin alles, um eine Frau in falscher Sicherheit zu wiegen und sie dann fallen zu lassen? Das hatte sie selbst schon zur Genüge erlebt. Sie musste nur an Claras Vater denken.
Trotzdem wusste Franziska instinktiv, dass etwas nicht stimmte. Ein Mann kann faul sein, ein Mann kann unzuverlässig sein, er kann eine Absprache vergessen, aber er arbeitet doch immer auf den Moment seiner Eroberung hin. Hutter hätte sich gemeldet, egal, was er für sie empfand, und sei es nur, um sie herumzukriegen.
Dieses Mal übernahm sie die Initiative! Sie würde handeln!
Sollte sie Joe eine SMS schicken? Vielleicht fühlte er sich ja so unsicher wie sie? In solchen Dingen ist jeder unsicher, selbst der coolste Typ. Oder drängelte sie ihn damit und verscheuchte ihn erst recht?
Franziska ging zur Kaffeemaschine, stülpte eine Filtertüte in den Filter, füllte Wasser nach, gab Kaffeepulver hinzu und schaltete das Gerät an.
»Vermutlich hast du ein wichtiges Meeting«, begann sie eine SMS, »melde dich doch bitte, sobald es vorbei ist.« Sie zögerte, dann änderte sie den Text: »wenn es vorbei ist.« Nur nicht drängen. Immer eine Wahl lassen.
Sie schickte die SMS noch nicht ab. Es könnte ja sein,dass Joe gerade in diesem Augenblick selbst die versprochene SMS an sie geschickt hatte, und dann verstärkte sich der Eindruck noch, sie bedränge ihn.
Sie goss sich eine Tasse Kaffee ein. Sie nahm einige Papiere aus dem Regal und legte sie auf ihren Schreibtisch. Man hatte sie gebeten, eine neue Wanderroute auszuarbeiten, die die verschiedenen Kraterformen der Eifel miteinander verband – also den Caldera des Laacher Sees, die typischen Eifelmaare, etwa das Totenmaar bei Daun, und richtige Kraterseen, also mit Wasser gefüllte Vulkankrater, wie das Windsborn genannte Mosenberger Maar in der Nähe von Manderscheid. Franziska legte eine Liste der lohnenden Objekte vor sich hin – sie hatte sich überlegt, auch einen erkalteten Vulkanschlot und ein sogenanntes Trockenmaar, in dem der See längst verlandet und vertorft ist, in die Route mit aufzunehmen. Sie faltete drei topographische Karten der Region auf und breitete sie über den Boden aus. Sie musste ja bereits vorhandene Wanderwege kombinieren, um ihr Ziel zu erreichen.
Warum meldete sich Joe bloß nicht?
Sie sah auf die Uhr: vier Uhr nachmittags. Joe war nun schon seit praktisch einer Stunde überfällig. Er hatte doch so zuverlässig gewirkt! Und er hatte gestern eine SMS geschickt, um 11 Uhr abends, also vor dem Einschlafen, obwohl sie telefoniert hatten, und heute, um 8 Uhr morgens, hatte er eine witzige SMS geschickt, mit ganz vielen Smilys, und ihr einen schönen Tag gewünscht.
Und jetzt stellte er sich tot.
Franziska zog ihr Handy aus der Tasche. Keine SMS.
Sie schickte ihre SMS ab und ärgerte sich im selben Moment über ihre Ungeduld. Aber was soll’s? – so musste Joe einfach reagieren.
Dann kniete sie sich auf die Karten und suchte einen Fußweg, der vom Laacher See nach Südwesten zur Vulkaneifelführte. Er sollte möglichst weit von Straßen entfernt liegen, möglichst zur Hälfte durch Waldgebiete und zur Hälfte durch Felder führen. Ein Wirtshaus alle fünf
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