Die Lava
musste sie zugeben.
»Und – wo arbeitet er?«
»Bei einer Art Versicherung. Ähm, er ist so etwas wie ein Geologe, ein …« Sie überlegte: »… ein risk assessment officer .«
»Mehr wissen Sie nicht?«
Eigentlich wusste Franziska gar nichts über Hutter.
»Haben Sie ein Foto von dem Mann?«
Franziska schüttelte den Kopf.
»Sind Sie sich sicher, dass er Ihnen geschrieben hätte?«
Franziska nickte. Dann fiel ihr ein, wie unberechenbar Joe sich gezeigt hatte: Er hatte ihr den Rücken zugekehrt und telefoniert, aber er hatte auch Geschenke für Clara mitgebracht und sich für sie interessiert. Sie dachte an die SMS, die sie von ihm erhalten hatte, und wusste plötzlich ganz genau, dass er sich auf jeden Fall wie vereinbart gemeldet hätte. Also konnte er nicht. Also war etwas geschehen. Also musste man ihn suchen.
»Ja«, sagte sie mit fester Stimme, voller Überzeugung, weil sie sich tatsächlich sicher war. »Ja, natürlich hätte er sich gemeldet.«
Ein jüngerer Beamter kam mit einem Stapel Aktenordner unter dem Arm herein, die er geräuschvoll auf einem kleinen Beistelltisch deponierte. »Wo sollen wir denn nach ihm suchen, wenn Sie nicht wissen, wo der Vermisste wohnt, was er tut und wie er aussieht?«, fragte er. Er hatte anscheinend einiges mitgehört.
Sie zuckte mit den Schultern und blickte den älteren Polizisten mit etwas ausdrucksleeren Augen an. Ja, sie war hilflos, besaß nicht die leiseste Ahnung, was zu tun war. Sie wusste nur, dass man etwas tun musste.
»Es soll auch schon mal vorgekommen sein«, meinte der junge Polizist grinsend, »dass sich ein Mann bei einer Frau nicht mehr gemeldet hat, obwohl er das versprochen hatte.«
»So etwas würde Joe nie tun!«
Die beiden Beamten blickten sich mitleidig an und dann zu ihr wie zu einem kleinen Kind, das die Zusammenhänge der Welt noch nicht versteht und das in einer Traumwelt mit Prinzen, Elfen, Einhörnern und einem lieben Gott lebt, der dafür sorgt, dass niemand ein Leid erfährt.
»Es tut mir wirklich sehr leid«, erklärte der ältere Polizist, und er sah jetzt sogar so aus, als meine er das ernst, »aber wir können eine Vermisstenmeldung nur herausgeben, wenn uns präzise Angaben vorliegen. Sie haben ja nur einen Verdacht.«
Der junge Polizist verließ den Raum.
Franziska war darüber erleichtert. »Was soll ich machen?«, fragte sie den älteren Beamten. »Ich bin mir sicher, dass Joe etwas zugestoßen ist. Ich kann es nicht beweisen, aber ich weiß, dass er sich gemeldet hätte.«
»Ich verstehe Ihre Sorge, aber«, der Mann holte tief Luft, »was sollen wir tun? Eine Suche nach Unbekannt ausschreiben? Gesucht wird ein Engländer, bitte melden?« Er klang nicht ironisch.
»Ich habe Joes Handynummer …«
»Bitte simsen Sie ihm weiter, oder rufen Sie ihn an. Sagen Sie mir auch Bescheid, falls er sich meldet …« Der Polizist klickte das Formular, das er aufgerufen hatte, wieder weg. »Bitte verstehen Sie, dass ich noch weitere Sachen erledigen muss …«
Franziska seufzte, dann erhob sie sich und ging zur Tür.
»Melden Sie sich, sobald Sie einen Anhaltspunkt haben, nach wem wir fahnden und wo wir suchen sollen!«, rief ihr der Polizist noch nach.
Der Mann, den sie aus dem See geholt hatte, war noch am selben Tag verstorben; nun war der nächste Mann, der gleich darauf in ihr Leben getreten war und den sie so vermisste, ebenfalls verschwunden. War auch er tot?
Sie sah durch ein Fenster auf den blauen Himmel, in dem eine prächtig strahlende Sonne stand, auf eine Straße voller geschäftiger Leute, die ihre Einkäufe erledigten, und hoffte, dass Joe Hutter wohlauf war, dass es einen guten Grund gab, warum er sich nicht gemeldet; einen Grund, der sie nicht frustrieren und betrüben musste.
Neal wunderte sich: Sonst zog MacGinnis Hutter deutlich vor, jetzt schien es ihn nicht zu kümmern, dass Joe nicht da war.
»Wo ist eigentlich Hutter?«, fragte Neal.
MacGinnis schüttelte den Kopf. »Gehen Sie an Ihre Arbeit!«
Neal wiederholte die Frage: »Wo ist eigentlich Hutter? Ich habe ihn heute noch nicht gesehen.«
»Kümmern Sie sich um Ihren Auftrag, Neal – er tut das, was er tun muss.«
MacGinnis legte Wert darauf, dass sie sich nicht allzu gut kannten und nicht befreundet waren. Die Arbeit sollte ohne Emotionen verrichtet werden. Trotzdem: Man plauderte schon mal miteinander. Und Neal und Hutter, die ja vieles gemeinsam erledigten, informierten sich in der Regel darüber, wenn sie einen Außenauftrag
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