Die Lava
worden und hatte sich noch nicht völlig gesetzt. Joe stieg in das Wasser und fand es viel trüber als bei seinem letzten Tauchgang. Selbst als er bereits weiter nach draußen geschwommen war, blieb das Wasserbräunlich. In wenigen Metern Tiefe betrug die Sichtweite nur zwei oder drei Taucherlängen. Alles, was weiter entfernt lag, konnte er nur noch als undeutliche Schemen wahrnehmen.
So unlieb Hutter solche Situationen auch waren, sie gehörten dazu wie der Knacks auf der Platte. Er entfernte sich mit kräftigen Beinschlägen vom seichten Uferrand hin in Richtung Seemitte, um das Artefakt zu untersuchen, das bei den Side-Scan-Versuchen so auffällig gewesen war.
Eine leichte Strömung trug ihn hinaus. Mit ein paar starken Tritten seiner Beine kehrte er in Richtung Ufer zurück. Er hob kurz den Kopf über die Seeoberfläche und peilte mehrere große Bäume am Wasserrand an, um sich zu orientieren und seine Position zu bestimmen. Er konnte jetzt nicht mehr weit von dem großen Sonarziel entfernt sein, das er untersuchen wollte.
Der Ort war von Andrew Neal am Vortag aufgespürt worden, hatte ihm MacGinnis mit knappen Worten erklärt. Es handelte sich um eines der Ziele, die sie gleich zu Beginn durch Echolotpeilung entdeckt und auf der Karte mit einem Kreuzchen markiert hatten. Neal war mit dem Side-Scan-Roboter mehrmals über die Stelle gefahren, hatte ein großes x-förmiges Objekt aufgespürt, dessen Form eindeutig an ein Flugzeug erinnerte. Zu klein für eine Halifax, aber Rumpf und die Enden der Flügel steckten wohl zu großen Teilen noch im Bodenschlamm.
Joe prüfte die Anzeige seines GPS, die horizontale Entfernung zum Ziel betrug höchstens fünfzig Meter. Das Wrack musste in etwa zwölf Metern Tiefe liegen, tiefer war das Wasser hier nicht. Joe hoffte, dass überhaupt etwas aus dem Grund ragte, der Side-Scan-Sonar durchdrang ja den Schlamm und zeigte möglicherweise Strukturen auf, die mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen waren.
Ein eigentümliches Gefühl beschlich ihn. Nicht die Furchtvor zu viel Wasser unter sich, sondern das seltsame Gefühl, angestarrt zu werden. Seine in langen Jahren erlernte, selbst kleinste Details und Veränderungen aufmerksam registrierende Wachsamkeit meldete sich. Unbewusst musste er etwas in den Augenwinkeln bemerkt haben, er wendete seinen Kopf hin und her; aber in dem trüben Wasser mit seinen Myriaden von Schwebeteilchen konnte er nichts ausmachen.
Er atmete schneller und heftiger. Er spürte das an seinem ganzen Körper, aber er konnte es auch sehen: Seine Luftblasen stiegen zahlreicher und in kürzeren Abständen empor.
Die Art von Bewegung, die er jetzt undeutlich wahrnahm, ließ ihn plötzlich an einen zweiten Taucher denken. Konnte es wirklich sein, dass ein zweiter Taucher in seine Nähe gekommen war? Joe ließ sich zwanzig Fuß in die Tiefe sinken. Er befand sich in einem whiskyfarbenen Zwielicht. Aufmerksam studierte er die Umgebung. Er vermochte nichts zu erkennen.
Hatte er sich getäuscht? Auch das war eine Möglichkeit – vielleicht hatte er sein Frühwarnsystem überreizt. Hier ganz in der Nähe war es gewesen, hier hatte sich seine nahe Begegnung mit dem Taucher ereignet, der dann im Krankenhaus gestorben war.
Joe verharrte eine Viertelstunde in seinem Tiefenversteck. Doch irgendwann musste der Vorrat in seinen Pressluftflaschen erschöpft sein. Er vergeudete hier wertvolle Zeit, so nahe beim möglichen Wrack, und das nur, weil ihm der frühere Tauchgang noch in den Knochen saß. Wahrscheinlich sah er bloß Gespenster.
Vorsichtig bewegte er sich wieder nach oben. Er drehte sich dabei mehrmals sehr langsam um die eigene Achse.
Plötzlich schwamm der Schatten wieder in seiner Nähe, diesmal direkt vor Joes Gesicht. Ein kapitaler Karpfen, mindestens zwei Fuß lang, schob sich vorbei, wand sich in dietrübe Entfernung, verlor sich dann in dem grauen Hintergrund. Ein Fisch hatte ihn genarrt!
Joe schlug mit den Beinen und trieb sich auf sein Ziel zu. Dort schwebte ein anderer Taucher über dem Boden.
Der andere Taucher winkte ihm zu.
Nun war es zu spät: Es hatte keinen Zweck mehr, sich zu verstecken. Man hatte ihn gesehen. Es blieb Joe nichts anderes übrig, als darauf zu reagieren. Also hob er einen Arm und winkte vorsichtig zurück.
Der Mann ignorierte ihn.
Jetzt dämmerte es Joe allmählich. Ganz langsam, fast zaghaft, drehte er seinen Kopf und blickte hinter sich – dort schwamm ein zweiter Taucher im selben Abstand wie der erste. Der Mann hob
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