Die Lavendelschlacht
»Und wenn er erst einmal ausgerechnet hat, was er durch eine Hochzeit an Steuern sparen kann, steht ihr schneller vor dem Traualtar, als dir lieb ist.«
»Na ja, aber nur aus steuerlichen Gründen möchte ich ... « Mitten im Satz stockte ich und fixierte wie vom Donner gerührt einen kleinen Tisch auf der Stirnseite des Raumes. Das konnte doch wohl nicht wahr sein. Litt ich schon unter Halluzinationen? Dieser verdammte Alkohol! Dabei war das gerade mal mein zweites Bier, an und für sich fühlte ich mich noch recht nüchtern.
Mona musterte mich besorgt. »He, Annette, was ist los? Annette! Jetzt sag doch was! Du bist ja ganz blass. Hattest du eine Erscheinung?«
»Ja, so kann man es auch nennen«, antwortete ich dumpf und versteckte mich, so gut es eben ging, hinter einem schmalen Thekenpfeiler.
Mona und Frauke verrenkten sich die Hälse, um herauszufinden, was mich so schockiert hatte. »Ach, du dickes Ei!« Von wegen Halluzinationen! Jetzt hatte Frauke ihn also auch entdeckt. Mona ließ sich nicht beirren. »Wie ich bereits sagte: Er leidet mit Sicherheit genauso wie du«, sie stutzte und rieb sich die Augen, »auch wenn es im Augenblick vielleicht nicht danach aussieht.«
Nein, danach sah es nun wirklich nicht aus. Anstatt Trübsal zu blasen, amüsierte Thomas sich glänzend. Falls er sich tatsächlich, wie Mona es prophezeit hatte, in sein Schneckenhaus zurückgezogen hatte, dann hatte er aus Angst vor Langeweile weibliche Begleitung mitgenommen. Thomas und die fremde Frau kannten sich offenbar gut. Sie lachten und steckten die Köpfe zusammen, als hätten sie etwas ungemein Wichtiges und sehr Vertrauliches miteinander zu bereden. Und immer wieder legte Thomas’ Begleiterin dabei wie zufällig ihre Hand auf seinen Arm, was meinen lieben Freund nicht im Geringsten zu stören schien. Ganz im Gegenteil! Er bedachte die Unbekannte mit Blicken, die sämtliche Alarmglocken in meinem Kopf zum Schrillen brachten. Wann hatte er mich eigentlich das letzte Mal so angeschaut? Unter normalen Umständen waren mir masochistische Neigungen völlig fremd, aber ich konnte nicht anders, als immer wieder hinzusehen.
»Was findet Thomas bloß an der?«, fragte Mona.
»Eben, was findet der bloß an der Schnepfe?«, hauchte Frauke ungläubig.
»Vielleicht diese atemberaubende Figur«, schlug ich kleinlaut vor.
»Oder die schicken Fummel. Das ist garantiert nicht H&M.« Frauke klang neidisch.
»Möglicherweise auch die üppigen Kurven.« Da konnte selbst Mona nicht mithalten.
»Oder diese vollen Lippen. Bestimmt aufgespritzt.«
»Eventuell auch die langen Beine.«
»Oder vielleicht die tollen Haare?«
»Damit wäre die Frage, was Thomas an ihr findet, ja wohl hinreichend beantwortet, oder?«, fragte ich streng.
Schuldbewusstes Kopfnicken war die Antwort. Mein angeschlagenes Selbstbewusstsein verabschiedete sich mit einem letzten müden Winken.
An ihrer Art, sich zu kleiden und zu schminken, konnte man auf Anhieb sehen, dass die Frau Stil und Kohle hatte. Alles an ihr, von den modischen Pumps (Gucci?) bis zu den Haarspitzen (splissfrei, soweit man das aus dieser Entfernung beurteilen konnte), zeugte von Geschmack und Klasse. Sie hatte ungefähr Monas Größe und Figur, abgesehen von den bereits erwähnten Rundungen, die an strategisch günstiger Stelle positioniert waren. Ihre lange schwarze Mähne wurde durch eine raffinierte Hochsteckfrisur gebändigt. Ich wollte mir lieber erst gar nicht vorstellen, wie unverschämt gut die Frau mit offenen Haaren aussah.
Aber es musste doch eine Art ausgleichende Gerechtigkeit auf dieser Welt geben, redete ich mir ein. Bestimmt war diese Trulla dumm wie Bohnenstroh ...
Fehlanzeige! So fasziniert, wie Thomas an ihren Lippen hing, war sie sogar eine ausgesprochen geistreiche und amüsante Gesprächspartnerin.
Mona versuchte mich mit aller Kraft hinter dem Thekenpfeiler hervorzuzerren. Ich wehrte mich eisern.
»Jetzt gehst du dort rüber und sagst brav hallo. Die Sache ist bestimmt ganz harmlos. Hörst du! Vielleicht ist die Tussi eine alte Jugendfreundin von ihm, eine Cousine dritten Grades, oder was weiß ich ...«
Vor dem gestrigen Abend hätte ich das sicher genauso gesehen. Mit Ausnahme der Cousine, denn eine Dame, die in diesem verwandtschaftlichen Verhältnis zu ihm stand, gab es meines Wissens nicht. Ich spielte Puzzle, in meinem Kopf reihte sich ein Teilchen an das andere. Und langsam fügte sich alles zu einem Bild zusammen. Kein Wunder, dass Thomas mich nicht
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