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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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habe.
    »Der Herr Pfarrer hatte ganz richtig vorausgesagt, daß sie Sie bestehlen würde«, wiederholte Veronika. »Ich ließe an Ihrer Stelle die Polizei holen!«
    Lazare sprach ebenfalls vom Gefängnis, über die herausfordernde Art der Kleinen aufgebracht, die sich wie eine junge Natter aufbäumte, der man den Schwanz zertreten hat. Es juckte ihn ordentlich, sie zu ohrfeigen. »Gib wieder her, was man dir gegeben hat«, rief er. »Wo ist das Geldstück?«
    Sie führte es bereits an ihre Lippen, um es zu verschlingen, als Pauline sie befreite und sagte:
    »Behalte es nur und sage zu Hause, daß es das letzte gewesen ist. Ich werde in Zukunft selbst nachsehen, ob ihr etwas braucht... Fort!...«
    Man hörte ihre nackten Kinderfüße in die Pfützen tappen, dann wurde alles still. Veronika stieß die Bank fort, bückte sich mit einem Schwamme, um von den Fliesen die Nässe aufzuwaschen, die von den Lumpen abgetropft war. Wahrhaftig! selbst ihre Küche war von diesem Elend so verpestet, daß sie alle Türen und Fenster aufriß. Das Fräulein nahm ernst, ohne ein Wort zu sagen, Geldbeutel und Medizinkasten, während der Herr mit empörter Miene, vor Widerwillen und Langeweile gähnend, an den Brunnen gegangen war, um sich die Hände zu waschen.
    Das war Paulinens Kummer: sie sah, daß Lazare sich gar nicht für ihre kleinen Freunde aus dem Dorfe interessierte. Wenn er ihr auch des Sonnabends gern behilflich war, so tat er es einfach aus Gefälligkeit für sie; sein Herz war nicht dabei beteiligt. Sie stieß nichts ab, weder Armut noch Laster, während ihn die häßlichen Dinge ärgerten und betrübten. Sie blieb ruhig und heiter in ihrer Liebe zu den anderen, während er nicht aus sich selbst herauszutreten vermochte, ohne im Außenleben neue Ursachen der Verstimmung zu finden. Nach und nach begann er wirklich unter dieser unsauberen Schar zu leiden, in der bereits alle Sünden der Menschen gärten. Dieses Gezücht von Elenden verbitterte ihm vollends das Leben, er verließ sie gebrochen, mit Haß und Verachtung vor der menschlichen Herde. Diese zwei Stunden guter Werke machten ihn nur schlecht, er wollte die Almosen verweigern, er zog die Barmherzigkeit in das Lächerliche. Er rief, es sei das Klügste, dieses Nest Insekten mit dem Stiefelabsatze zu zermalmen, anstatt ihm beim Heranwachsen zu helfen. Pauline hörte ihn erstaunt über seine Heftigkeit an; sie war sehr bekümmert, daß ihre Empfindungen nicht die gleichen waren.
    An jenem Sonnabend machte der junge Mann, als sie allein waren, seinem ganzen Leiden in einem Satze Luft.
    »Ich glaube, einer Kloake zu entsteigen.«
    Dann fügte er hinzu:
    »Wie kannst du nur diese Ungeheuer lieben?«
    »Ich liebe sie ihrethalben, nicht meinethalben«, antwortete das junge Mädchen. »Du würdest einen räudigen Hund von der Straße aufheben.«
    Er machte eine abweisende Bewegung.
    »Ein Hund ist kein Mensch.«
    »Helfen, um zu helfen, ist das nichts?« begann sie wieder. »Es ist ärgerlich, daß sie sich nicht bessern, denn dadurch würde sich ihr Elend vielleicht vermindern. Aber wenn sie gegessen und sich gewärmt haben, genügt es mir, ich bin zufrieden: es ist immer ein Schmerz weniger... Warum sollen sie uns lohnen, was wir für sie tun?«
    Sie schloß traurig:
    »Mein armer Freund, ich sehe, es macht dir kein Vergnügen; da ist schon besser, du tust nicht mehr mit... Ich habe keine Lust, dein Herz zu entzweien und dich schlechter zu machen, als du bist.«
    Lazare entschlüpfte ihr, sie blutete innerlich; denn sie war von ihrer Ohnmacht, ihn aus dieser Zeit des Schreckens und der Langeweile befreien zu können, überzeugt. Angesichts seiner Nervosität konnte sie nicht an die Verheerungen des unzugestandenen Leidens allein glauben, sie vermutete noch andere Gründe hinter dieser Traurigkeit, und der Gedanke an Luise erwachte von neuem in ihr. Sie erstarrte zu Eis, versuchte aber den Stolz ihrer Entsagung wiederzufinden und schwor sich selbst, soviel Freude um sich zu verbreiten, daß sie zum Glücke all der Ihren genüge.
    Eines Abends sagte Lazare ein grausames Wort.
    »Wie vereinsamt man hier ist!« meinte er gähnend.
    Sie sah ihn an. War es eine Anspielung? Sie hatte nicht den Mut geradeheraus zu fragen. Ihre Güte lehnte sich dagegen auf, das Leben wurde ihr wieder zur Qual.
    Eine neue Erschütterung harrte Lazares; seinem alten Mathieu ging es nicht gut. Die Hinterfüße des armen Tieres, das im März vierzehn Jahre alt geworden, wurden immer mehr mitgenommen.

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