Die Lebensfreude
Wenn ihn die Anfälle steif machten, vermochte er kaum zu gehen, er blieb im Hofe in der Sonne ausgestreckt liegen und überwachte die Menschen, die das Haus verließen, mit seinen schwermütigen Augen. Lazare beunruhigten besonders die trüb gewordenen, von einem bläulichen Nebelschleier verdunkelten Augen von dem unbestimmten Blau der Erblindeten. Trotzdem sah der Hund und schleppte sich noch hin, um seinen dicken Kopf auf die Knie seines Herrn legen zu können; dann sah er ihn starr an mit dem traurigen Ausdruck jemandes, der alles versteht. Er war nicht mehr schön: sein weißes und gekräuseltes Fell war gelblich geworden, seine ehemals so schwarze Nase ausgebleicht; seine Unsauberkeit und eine Art Scheu machten ihn zu einer jämmerlichen Erscheinung, denn aus Furcht vor seinem hohen Alter wagte man nicht mehr, ihn zu waschen. Alles Spielen hatte aufgehört, er wälzte sich nicht mehr auf dem Rücken umher, er wandte sich nicht mehr nach seinem Schwanze um, er hatte nicht einmal mehr Zärtlichkeitsanfälle für Minouches Junge, wenn die Magd sie zum Meere trug. Er verbrachte seine Tage jetzt in dem Halbschlummer eines alten Mannes, und das Aufrichten kostete ihm eine solche Mühe, er schleppte sich so schwerfällig auf seinen erschlafften Pfoten, daß oft einer aus dem Hause ihm von Mitleid ergriffen aufhalf, ihn eine Minute lang unterstützte, bis er weitergehen konnte.
Blutverluste erschöpften ihn täglich mehr. Man hatte einen Tierarzt kommen lassen, der bei seinem Anblick in ein Gelächter ausgebrochen war. Wie? Man belästige ihn noch wegen eines solchen Hundes? Das beste sei, ihn totzuschlagen. Man müsse wohl das Leben eines Menschen zu verlängern suchen, aber wozu ein aufgegebenes Tier leiden lassen! Man hatte den Tierarzt an die Tür gesetzt und ihm seinen Besuch mit sechs Franken gelohnt.
Eines Sonnabends verlor Mathieu so viel Blut, daß man ihn in den Schuppen einsperren mußte. Er verstreute einen Regen großer, roter Tropfen hinter sich. Als Doktor Cazenove gerade frühzeitig kam, bot er Lazare an, sich den Hund anzusehen, den man wie ein Glied der Familie behandelte. Sie fanden ihn mit erhobenem Kopfe liegen, sehr schwach, aber noch lebhaften Auges. Der Arzt untersuchte ihn lange mit der nachdenklichen Miene, die er an jedem Krankenlager anzunehmen pflegte. Endlich sagte er:
»So reichlicher Blutverlust rührt von einer krebsartigen Entartung der Nieren her... Er ist verloren. Aber er kann sich noch ein paar Tage halten, falls er nicht von einer plötzlichen Blutung hingerafft wird.«
Der verzweifelte Zustand Mathieus trübte die Mahlzeit. Man rief sich ins Gedächtnis zurück, wie sehr Frau Chanteau ihn geliebt hatte, wie er die jungen Hunde erwürgte, und seine Jugendstreiche, die vom Rost gestohlenen Koteletten, die noch warm ausgeschlürften Eier. Als aber beim Nachtisch der Abbé Horteur seine Pfeife hervorzog, kam die Heiterkeit wieder zum Durchbruch, man hörte ihn Neues von seinen Birnbäumen berichten, die in diesem Jahr vorzüglich zu gedeihen versprachen. Chanteau sang trotz des Prickelns eines nahen Anfalles ein derbes Lied aus seinen Zwanziger-Jahren. Der Abend verlief allerliebst. Lazare selbst wurde heiter.
Plötzlich gegen neun Uhr, als man gerade den Tee reichte, rief Pauline:
»Da ist ja auch der arme Mathieu.«
In der Tat glitt dieser, auf seinen Pfoten taumelnd, blutend und abgemagert in das Speisezimmer. Sogleich vernahm man auch Veronika, die ihm mit einem Scheuerlappen nachlief. Sie erschien mit dem Ausrufe:
»Ich hatte in der Remise zu tun, da ist er entschlüpft. Bis zum Ende muß er sein, wo Sie sind; keine Möglichkeit, einen Schritt zu tun, ohne ihn in den Röcken zu haben... Vorwärts, komm, du kannst nicht da bleiben.«
Der Hund senkte mit sanfter und demütiger Gebärde seinen alten Kopf.
»Ach, laß ihn!« flehte Pauline.
Aber die Magd wurde ärgerlich.
»Diesmal nicht!... Ich habe es satt, das Blut hinter ihm her aufzuwischen. Seit zwei Tagen ist meine Küche voll davon. Es ist ekelhaft. Das Eßzimmer wird sauber aussehen, wenn er sich überall hinschleppt... Vorwärts, hopp! Willst du wohl schnell machen?«
»Laß ihn«, wiederholte Lazare. »Geh!«
Während Veronika wütend die Tür schloß, kam Mathieu herbei, als habe er verstanden und stützte seinen Kopf auf das Knie seines Herrn. Alle wollten ihm eine Freude bereiten, man zerbrach Zucker und versuchte ihn aufzumuntern. Früher bestand das abendliche Vergnügen darin, daß man weit von ihm
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