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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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geheftet, seinen Widerwillen; dann leerte sie es und goß es sich mit der flinken Faustbewegung eines echten Trinkers in die Kehle. Aber sie ging noch nicht, sie bettelte das Fräulein an, sie möge ihr die Flasche mitgeben; es ermüde sie zu sehr, alle Tage zu kommen; sie versprach, sich mit der Flasche zu Bett zu legen, sie so gut unter ihren Röcken zu verbergen, daß ihre Eltern ihr den Wein nicht wegtrinken könnten. Das Fräulein schlug es ihr rundheraus ab.
    »Damit du sie auf einen Zug austrinkst, bevor du noch an den Strand heruntergekommen bist?« sagte Lazare. »Man traut dir nicht, du kleiner Weinschlauch.«
    Die Bank leerte sich, die Kinder verließen sie eines nach dem andern, um Geld, Brot und Fleisch in Empfang zu nehmen. Einige wollten nach Einhändigung ihres Teiles noch ein wenig beim Feuer verweilen, aber Veronika, die bemerkt hatte, daß man ihr das halbe Bündel Rüben verzehrt, schickte sie heim und jagte sie mitleidslos in den Regen hinaus: hatte man je so etwas gesehen! Rüben, die noch voller Erde waren! Bald war nur noch der Sohn der Cuche da mit mürrischem dummen Gesicht in der Erwartung der Strafpredigt des Fräuleins. Sie rief ihn bei Namen, sprach halblaut lange mit ihm, händigte ihm jedoch schließlich wie alle Sonnabende das Fünffrankenstück und das Brot ein; er entfernte sich mit dem Gange eines bösen und störrischen Tieres und dem Versprechen zu arbeiten, aber fest entschlossen, es nicht zu halten. Die Magd stieß endlich einen Seufzer der Erleichterung aus; plötzlich aber schrie sie auf:
    »Sie sind doch noch nicht alle fort? Da ist ja noch eine in der Ecke.«
    Es war die kleine Tourmal, die Mißgeburt von der Heerstraße, die trotz ihrer zehn Jahre die Gestalt einer Zwergin behielt. Nur ihre Dreistigkeit wuchs, sie wurde noch greinender, noch gieriger, in den Windeln schon auf das Betteln abgerichtet wie die Wunderkinder, denen man für die Purzelbäume im Zirkus die Knochen ausrenkt. Sie hockte zwischen dem Küchenspind und dem Kamin eingepfercht, als habe sie sich aus Furcht, bei etwas Bösem ertappt zu werden, in diesem Schlupfwinkel versteckt.
    »Was machst du da?« fragte Pauline.
    »Ich wärme mich.«
    Veronika schaute sich mit einem unruhigen Blick in der Küche um. An den vorhergehenden Sonnabenden waren, selbst wenn die Kinder auf der Terrasse saßen, unbedeutende Kleinigkeiten verschwunden. Es schien aber heute alles in Ordnung, und das Kind, das sich hastig aufgerichtet hatte, begann sie mit seiner schrillen Stimme zu betäuben.
    »Vater ist im Krankenhaus, Großvater hat sich bei der Arbeit verwundet, Mutter hat kein Kleid zum Ausgehen... Haben Sie Mitleid mit uns, gutes Fräulein.«
    »Willst du uns wohl in Ruhe lassen, du Lügnerin,« rief Lazare außer sich. »Dein Vater sitzt wegen Schmuggelei, und dein Großvater hat sich an dem Tage sein Handgelenk verrenkt, an dem er zu Roqueboise in den Austernbänken Verheerungen anrichtete. Wenn deine Mutter auch kein Kleid hat, so geht sie im Hemde auf Raub aus; denn man hat sie schon wieder angeklagt, dem Wirtshausbesitzer von Verchemont fünf Hühner erwürgt zu haben... Machst du dich über uns lustig, indem du uns Sachen vorlügst, die wir besser kennen als du? Geh, erzähle deine Geschichten den Leuten auf den Straßen.«
    Das Kind schien nicht einmal gehört zu haben. Es begann von neuem mit seiner unverschämten Sicherheit.
    »Haben Sie Mitleid, Fräulein, die Männer sind krank, und Mutter wagt sich nicht mehr heraus... Der liebe Gott wird es Ihnen vergelten...«
    »Hier! lauf und lüge nicht mehr«, sagte Pauline und gab ihr ein Geldstück, um ein Ende zu machen.
    Die Kleine ließ es sich nicht zweimal sagen. Mit einem Satze verließ sie die Küche und eilte, so schnell es ihre kurzen Beine erlaubten, über den Hof. Aber im nämlichen Augenblicke stieß die Magd einen Schrei aus.
    »Ach! mein Gott, der Becher, der auf dem Küchenspinde stand! Sie hat Fräuleins Becher mitgenommen.«
    Sie stürmte bereits der Diebin nach. Zwei Minuten später führte sie diese mit der grimmen Miene eines Gendarmen zurück. Man hatte alle Mühe sie zu durchsuchen, denn sie schlug um sich, biß und kratzte, wobei sie ein Geheul ausstieß, als wenn man sie umbringen wolle. Der Becher war nicht in ihrer Tasche, er steckte, an ihre Haut gepreßt, in dem Fetzen, der ihr als Hemd diente. Sie hörte zu weinen auf und behauptete frech, daß sie von nichts wisse, daß er auf sie gefallen sein müsse, als sie dort auf der Erde gesessen

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