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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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entfernt, auf die andere Seite des Tisches ein Stück Zucker hinlegte; er machte dann schnell die Runde, aber schon hatte man das Stück fortgenommen und es an das andere Ende gelegt; so lief er unaufhörlich um den Tisch herum, bis er betäubt, bestürzt von dieser Taschenspielerei laut zu bellen anfing. Dieses Spiel versuchte Lazare mit ihm von neuem, in dem barmherzigen Gedanken, dem traurigen, schon mit dem Tode kämpfenden Tiere eine Erholung zu verschaffen. Der Hund wedelte einen Augenblick mit dem Schweife, ging einmal herum, dann stolperte er an Paulinens Stuhl. Er sah den Zucker nicht, sein abgezehrter Körper fiel auf die Seite, das Blut floß in roten Tropfen um den Tisch herum. Chanteau trällerte nicht mehr, das Mitleid schnürte jedem das Herz zusammen bei dem Anblick des armen, sterbenden Mathieu, der blind umhertastete; alle erinnerten sich der Streiche des gefräßigen Mathieu von ehemals.
    »Ermüdet ihn nicht«, sagte der Doktor sanft. »Ihr tötet ihn.«
    Der Pfarrer, der bisher still geraucht hatte, bemerkte, zweifelsohne um seine Teilnahme zu erklären:
    »Diese großen Hunde sind, möchte man sagen, Menschen.«
    Als um zehn Uhr der Priester und der Arzt fortgegangen waren, schloß Lazare selbst, ehe er in sein Zimmer hinaufstieg, Mathieu im Schuppen ein. Er bettete ihn auf frischem Stroh, sah nach, ob er seinen Napf Wasser hatte, umarmte ihn und wollte ihn dann allein lassen. Aber der Hund hatte sich schon unter mühseligen Anstrengungen erhoben und folgte ihm. Er mußte ihn dreimal niederlegen. Endlich fügte er sich; er blieb mit erhobenem Kopfe liegen und sah mit so wehmütigen Blicken seinen Herrn sich entfernen, daß dieser verzweifelt umkehrte und ihn noch einmal umarmte.
    Oben versuchte Lazare, bis Mitternacht zu lesen. Dann legte er sich schließlich nieder. Aber er konnte nicht einschlafen, der Gedanke an Mathieu verließ ihn nicht. Er sah ihn noch immer auf dem Stroh liegen, den unsteten Blick der Tür zugewendet. Morgen war sein Hund tot. Wider Willen richtete er sich jeden Augenblick auf, horchte und meinte, ihn im Hofe bellen zu hören. Seine lauschenden Ohren vernahmen allerlei eingebildete Geräusche. Gegen zwei Uhr war es ein Stöhnen, das ihn vom Bette aufschreckte. Wo wurde denn geweint? Er ging auf die Treppe hinaus, das Haus war finster und still, kein Atemzug drang aus Paulinens Zimmer. Da konnte er dem Verlangen hinunterzugehen nicht mehr widerstehen. Die Hoffnung, seinen Hund noch wiederzusehen, trieb ihn zur Eile an. Er ließ sich kaum Zeit, in die Beinkleider zu schlüpfen, und ging hastigen Schrittes mit dem Licht hinunter.
    Mathieu war in dem Schuppen nicht auf dem Stroh liegen geblieben. Er hatte sich eine Strecke weit, bis auf die festgestampfte Erde geschleppt. Als er seinen Herrn eintreten sah, fand er nicht einmal mehr die Kraft, den Kopf aufzuheben. Nachdem dieser das Licht zwischen alte Balken gestellt, hatte er sich niedergehockt, erstaunt über die schwarze Farbe des Bodens; mit schwerem Herzen fiel er auf die Knie, als er bemerkte, daß der Hund in einer großen Blutlache liegend mit dem Tode kämpfte. Es war sein entströmendes Leben, er wedelte schwach mit dem Schwanze, während aus seinen tiefen Augen ein Leuchten hervordrang.
    »Ach, mein armer Hund!« murmelte Lazare. »Mein armer, alter Hund!«
    Er sprach laut:
    »Warte, ich werde dich an einen anderen Platz bringen... Nein, das tut dir weh... Aber du bist ganz durchnäßt! Und ich habe nicht einmal einen Schwamm... Willst du vielleicht trinken?...«
    Mathieu sah ihn immer unverwandt an. Nach und nach bewegte ein Röcheln seine Flanken. Geräuschlos, wie aus einem verborgenen Quell genährt, vergrößerte sich die Blutlache. Leitern und bodenlose Tonnen warfen mächtige Schatten, das Licht brannte schlecht. Da raschelte das Stroh: es war die Katze, Minouche, die sich auf dem für Mathieu bereiteten Lager niedergelegt hatte und sich vom Lichte belästigt fühlte.
    »Willst du trinken, mein armer, alter Hund?« wiederholte Lazare.
    Er hatte einen Wischlappen gefunden, tauchte ihn in den Wassernapf und preßte ihn auf die Schnauze des sterbenden Tieres. Das schien ihm Erleichterung zu verschaffen, seine vom Fieber aufgesprungene Nase kühlte sich ein wenig ab. So verging eine halbe Stunde, er kühlte ihn unablässig mit dem Wischlappen, die Augen voll von dem jammervollen Schauspiel, die Brust von einer unendlichen Traurigkeit beklemmt. Wie an dem Bette eines Kranken überkamen ihn tolle Hoffnungen;

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