Die Lebensfreude
schnüffelte im Zimmer umher und erriet endlich die Ursache dieser Verzweiflung.
»Donnerwetter!« begann sie in ihrer immer mehr derben Weise, »Sie hätten darauf eigentlich gefaßt sein müssen, was jetzt gekommen ist. Ich habe Sie damals gewarnt. Sie brachten sie zusammen, und sie unterhalten sich... Die Frau hat vielleicht recht gehabt, jenes Kätzchen erheitert ihn mehr als Sie.«
Sie nickte mit dem Kopfe und setzte mit dumpfer Stimme hinzu wie zu sich selbst:
»Ach ja, die Frau sah trotz ihrer Fehler klar. Ich kann es immer noch nicht herunterwürgen, daß sie tot ist.«
Als Pauline an jenem Abend die Tür ihres Zimmers hinter sich geschlossen und das Licht auf die Kommode gestellt hatte, sank sie auf den Bettrand nieder; sie sagte sich, daß sie Lazare und Luise jetzt verheiraten müsse. Den ganzen Tag hatte ihr der Schädel so gebrummt, daß es ihr unmöglich gewesen war, einen klaren Gedanken zu fassen; erst in dieser nächtlichen Stunde, in der sie ohne Zeugen leiden konnte, erkannte sie endlich diese unvermeidliche Notwendigkeit. Sie mußten verheiratet werden, das tönte in ihr wie ein Befehl, wie eine Stimme der Vernunft und der Gerechtigkeit, die sie nicht zum Schweigen bringen konnte. Sie, die so mutig, wandte sich einen Augenblick entsetzt um, denn sie meinte, die Stimme ihrer Tante zu hören, die ihr zurief zu gehorchen. Sie warf sich völlig angekleidet rücklings auf das Bett und barg den Kopf in die Kissen, um ihr Schreien zu ersticken. Ihn einer andern geben, ihn in den Armen einer andern wissen, auf ewig, ohne Hoffnung ihn je wiederzubekommen! Diesen Mut würde sie nicht haben; lieber fristete sie ihr elendes Leben fort; niemand sollte ihn haben, weder sie noch das Mädchen, und er selbst sollte harren und harren, bis er vertrocknet wäre. Lange Zeit wehrte sie sich dagegen, von einer eifersüchtigen Wut erschüttert, die häßliche, fleischliche Bilder in ihr auftauchen ließ. Immer siegte zuerst das Blut, eine Heftigkeit, die weder die Jahre noch die Klugheit milderten. Dann verfiel sie in eine große Erschöpfung, ihr Fleisch war tot.
Auf dem Rücken liegend und ohne die Kraft zum Entkleiden überlegte Pauline lange. Sie gelangte zu der Überzeugung, daß Luise mehr als sie zu dem Glücke Lazares beitragen werde. Hatte ihn dieses schwache Kind mit den Liebkosungen einer Geliebten nicht bereits aus seiner Langweile gerissen? Zweifelsohne bedurfte er einer solchen, die ihm fortwährend am Halse hing und mit ihren Küssen die trüben Gedanken, die Schrecken vor dem Tode verjagte. Pauline setzte sich selbst herab, sie fand sich zu kalt, ohne liebevolle weibliche Anmut, nur von Güte beseelt, was jungen Leuten aber nicht genügt. Eine andere Betrachtung überzeugte sie vollends. Sie war ruiniert und die Zukunftspläne ihres Vetters, diese Pläne, die sie beunruhigten, erforderten viel Geld. Sollte sie ihm die beschränkten Verhältnisse, in denen die Familie lebte, auferlegen, die Mittelmäßigkeit, unter der sie ihn leiden sah? Das würde ein schreckliches Leben sein voll beständigen Bedauerns, voll streitsüchtiger Bitterkeit wegen der verfehlten ehrgeizigen Entwürfe. Sie würde ihm den ganzen Groll über das Elend als Mitgift bringen, während Luise, die reich war, ihm die erträumten Stellungen eröffnete. Man versicherte, daß der Vater für seinen Schwiegersohn schon eine Stellung in Bereitschaft hatte, zweifelsohne handelte es sich um eine Anstellung im Bankfache, und obgleich Lazare eine Verachtung vor Geldmenschen zur Schau trug, würden sich die Dinge gewiß ordnen lassen. Sie konnte nicht länger zögern, ihr war es, als begehe sie eine feige Handlung, wenn sie die beiden nicht miteinander verheiratete. In ihrer Schlaflosigkeit wurde diese Heirat eine natürliche, notwendige Lösung, die sie beschleunigen mußte, wenn sie nicht die Achtung vor sich selbst verlieren wollte.
Die ganze Nacht verstrich in diesem Kampfe. Als es Tag wurde, entkleidete Pauline sich endlich. Sie war sehr ruhig und genoß in ihrem Bette eine vollkommene, aber schlaflose Ruhe. Noch nie hatte sie sich so leicht, so erhaben, so losgelöst von allem gefühlt. Alles war zu Ende, sie hatte die Bande ihrer Selbstsucht zerschnitten, sie hoffte nichts und von niemandem mehr; im Grunde ihres Herzens fühlte sie Glück des Opfers. Sie fand nicht einmal mehr ihr einstiges Verlangen wieder, allein das Glück der Ihren ausmachen zu wollen, dieses gebieterische Bedürfnis, das ihr jetzt wie die letzte Verschanzung
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