Die Lebensfreude
bestimmte Antwort zu bringen, und sie kamen überein, von diesem förmlichen Plan, das Haus zu verlassen, zu keinem Menschen zu sprechen. Sie fürchtete, man könne eine Drohung darin erblicken; sie wollte die Hochzeit erst vorübergehen lassen, und dann am Tage darauf ohne Geräusch wie eine überflüssig gewordene Person ihres Weges gehen.
Am dritten Tage erhielt Pauline einen Brief von dem Arzte: man erwarte sie in Saint-Lô, sobald sie frei sei. An dem nämlichen Tage führte sie während Lazares Abwesenheit Luise in den Gemüsegarten auf eine alte, von einem Tamariskenbusche überschattete Bank. Gegenüber über die niedrige Mauer hinweg erblickte man nur das Meer und den Himmel in ihrem unendlichen Blau, am Horizont durch eine große, einfache Linie durchschnitten.
»Mein Herz,« sagte Pauline in ihrer mütterlichen Art, »wir wollen wie Schwestern miteinander reden, willst du? Du liebst mich ein wenig?«
Luise unterbrach sie und umfaßte sie.
»Oh! ja.«
»Nun wohl! Wenn du mich liebst, tust du unrecht, mir nicht alles zu sagen... Warum hast du Geheimnisse vor mir?«
»Ich habe keine Geheimnisse.«
»Doch, du verstellst dich. Laß sehen, öffne mir dein Herz.«
Beide sahen sich einen Augenblick aus nächster Nähe an, daß sie gegenseitig die Wärme ihres Atems spüren konnten. Indessen verwirrten sich die Augen der einen unter dem klaren Blick der andern. Das Schweigen wurde peinlich.
»Sage mir alles. Die Dinge, über die man spricht, sind bald geklärt, und nur wenn man sie verhehlt, entsteht Böses daraus ... Nicht wahr, es wäre nicht schön, wenn wir uns erzürnten und wieder etwas täten, was wir schon einmal so tief bedauert haben?«
Da brach Luise in heftiges Schluchzen aus. Sie preßte mit krampfhaften Fingern die Hüfte der Freundin, ließ ihren Kopf auf deren Schulter sinken und verbarg ihn dort, indem sie unter Tränen stammelte:
»Oh! Es ist nicht gut, wieder darauf zurückzukommen. Man sollte nie wieder darüber sprechen, nie wieder. Schicke mich lieber gleich fort, ehe du mich diese Qual nochmals leiden läßt.«
Pauline versuchte vergeblich, sie zu beruhigen.
»Nein, ich verstehe wohl,« fuhr Luise fort; »du hast mich noch in Verdacht. Warum sprichst du mir von einem Geheimnis? Ich habe keine Geheimnisse, ich tue alles auf der Welt, damit du mir keine Vorwürfe zu machen habest. Es ist nicht meine Schuld, wenn dich etwas beunruhigt: ich wache sogar über mein Lachen, ohne daß es den Anschein hat ... Wenn du mir nicht glaubst, will ich gehen, und zwar sofort.«
Sie waren allein in dem weiten Raum. Der vom Westwind versengte Gemüsegarten breitete sich zu ihren Füßen wie ein unbebautes Gelände aus, während jenseits das unbewegliche Meer seine Unendlichkeit aufrollte.
»So höre doch,« rief Pauline; »ich mache dir keine Vorwürfe, ich möchte dich im Gegenteil beruhigen.«
Sie bei den Schultern fassend, zwang sie Luise die Augen aufzuschlagen, dann fragte sie sie sanft wie eine Mutter ihre Tochter:
»Du liebst Lazare? ... Und er liebt dich auch, ich weiß es ...« Eine Blutwelle strömte in Luisens Gesicht. Sie zitterte noch heftiger, sie wollte sich losreißen und entfliehen.
»Mein Gott! Bin ich so ungeschickt, daß du mich nicht einmal verstehst! Würde ich einen solchen Gegenstand berühren, um dich zu quälen? Nicht wahr, ihr liebt euch? Gut. Ich will euch verheiraten, das ist doch sehr einfach.«
In ihrer Bestürzung vergaß Luise, sich länger zu wehren. Ihre Tränen standen stille, ihre Hände waren kraftlos niedergesunken.
»Wie? Und du?«
»Ich, meine Teure, habe mich seit Wochen ernstlich befragt, besonders nachts in den Stunden des Wachens, in denen man klarer sieht... Und ich habe erkannt, daß ich für Lazare nur eine gute Freundschaft übrighabe. Bemerkst du es nicht selbst? Wir sind Kameraden, man möchte sagen, zwei Jungen, zwischen uns herrscht nicht dieses Ungestüm der Verliebten...«
Sie suchte nach Worten, um ihre Lüge glaubwürdig zu machen. Aber ihre Nebenbuhlerin schaute sie noch immer mit starren Augen an, als sei sie in den geheimen Sinn der Worte eingedrungen.
»Warum lügst du?« murmelte sie endlich. »Bist du nicht mehr fähig zu lieben, wenn du liebst?«
Pauline wurde verwirrt.
»Was tut das! Ihr liebt euch, es ist ganz natürlich, daß er dich heiratet... Ich bin mit ihm aufgezogen worden und bleibe seine Schwester... Die Gedanken schwinden, wenn man solange aufeinander gewartet hat... Und dann habe ich noch viele andere
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