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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude
Autoren: Emil Zola
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Klimaten und in allen möglichen Arten von Verfaulungen sterben sehen, daß er im Grunde sehr bescheiden geworden war; er zog, sooft er konnte, vor, die Natur walten zu lassen. Trotzdem untersuchte er die geschwollene Zehe, deren glänzende Haut dunkelrot war; er ging zu dem von der Entzündung ergriffenen Knie über und stellte das Vorhandensein einer harten, weißen kleinen Perle am Rande des rechten Ohres fest.
    »Aber Doktor,« wimmerte der Kranke, »Sie können mich doch nicht so leiden lassen!«
    Cazenove war ernst geworden. Diese tuffsteinartige Perle interessierte ihn, und er fand vor dieser neuen Erscheinung seinen Glauben wieder.
    »Mein Gott!« murmelte er, »ich will es gern mit Alkalien und Salzen versuchen ... Allem Anscheine nach wird sie chronisch.«
    Dann ließ er sich gehen.
    »Ihre Schuld ist es, denn Sie befolgen die Lebensweise nicht, die ich Ihnen vorschrieb ... Keine Bewegung, immer nur im Lehnstuhl gelegen. Und ich wette, Wein und Fleisch, nicht wahr? Bekennen Sie, daß Sie etwas Erhitzendes gegessen haben?«
    »Nur ein kleines bißchen Gänseleberpastete!« beichtete Chanteau kleinlaut.
    Der Doktor hob beide Arme in die Höhe, um die Elemente zu Zeugen zu rufen. Dann zog er aus seinem großen Überzieher einige Flaschen und machte sich an die Mischung einer Arznei. Für die lokale Behandlung begnügte er sich, Fuß und Knie in Watte zu hüllen, die er des Halts wegen mit Wachsleinwand umwickelte. Als er fortging, wiederholte er Pauline seine Vorschriften: alle zwei Stunden einen Löffel Medizin, soviel Griesschleim wie der Kranke trinken wolle, und vor allem strengste Diät.
    »Wie können Sie nur glauben, daß er sich vom Essen zurückhalten läßt!« sagte Frau Chanteau, als sie den Doktor hinausbegleitete.
    »Nein, nein, Tante, du sollst sehen, er wird folgsam sein«, erlaubte sich Pauline zu bekräftigen. »Ich werde ihn schon zum Gehorsam bringen.«
    Gazenove schaute sie an, belustigt über ihr altkluges Aussehen. Er küßte sie von neuem auf beide Wangen.
    »Das Ding da ist für andere geboren«, erklärte er, mit dem scharfen Blicke, mit dem er seine Diagnosen aufstellte.
    Chanteau heulte acht Tage lang. Der rechte Fuß war in dem Augenblick, in dem man den Anfall beendigt glaubte, ergriffen worden, und die Schmerzen hatten sich mit verdoppelter Heftigkeit eingestellt. Das ganze Haus bebte: Veronika zog sich in die äußerste Ecke ihrer Küche zurück, um nichts zu hören, selbst Frau Chanteau und Lazare flohen in ihrer nervösen Angst wiederholt ins Freie. Nur Pauline verließ nicht das Zimmer, in dem sie überdies noch gegen die Launen des Kranken anzukämpfen hatte, der durchaus ein Kotelett essen wollte. Er habe Hunger, der Doktor Gazenove sei ein Esel, da er ihn nicht einmal heilen könne, schrie er. Besonders in der Nacht nahm das Leiden an Stärke zu. Sie schlief kaum zwei bis drei Stunden. Indes war sie kräftig; nie gedieh und wuchs ein kleines Mädchen gesunder heran. Frau Chanteau hatte schließlich mit erleichtertem Herzen die Hilfe dieses Kindes angenommen, welches das ganze Haus beruhigte. Endlich kam die Genesung. Pauline erhielt ihre Freiheit wieder, und zwischen ihr und Lazare entspann sich eine feste Kameradschaft. Sie begann in dem großen Gemach des jungen Mannes. Er hatte eine Scheidewand niederreißen lassen und nahm derart eine ganze Hälfte des zweiten Stockes ein. Ein kleines eisernes Bett verlor sich in einer Ecke hinter einem alten zerrissenen Wandschirm. An der Wand waren auf rohen Holzbrettern klassische Werke, zerrissene alte Bücher aufgestellt, die man im Winkel eines Speichers in Caen entdeckt und nach Bonneville gebracht hatte. Nahe dem Fenster stand ein alter, ungeheurer, normannischer Schrank, der von einem Durcheinander außergewöhnlicher Gegenstände überfüllt war, von Mineralien, außer Gebrauch gesetzten Werkzeugen und Kinderspielsachen. Außerdem befand sich auch das Klavier dort, von einem Paar Stoßdegen und einer Fechtmaske überragt, ohne den ungeheuren Tisch in der Mitte zu rechnen, einen einstigen sehr hohen Zeichentisch, der mit Papieren, Bildern, Tabaksbüchsen und Pfeifen völlig bedeckt war. Es hielt schwer, einen handbreiten Platz zum Schreiben ausfindig zu machen.
    Pauline, die man zu dieser Unordnung zugelassen, war entzückt. Sie gebrauchte einen Monat, um das Zimmer zu durchforschen. Jeden Tag machte sie neue Entdeckungen; einen in der Bibliothek gefundenen Robinson mit Stahlstichen, einen unter dem Schranke hervorgefischten
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