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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude
Autoren: Emil Zola
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Sie nahm einen Augenblick den Schlitz ihres Hemdes in den Mund und erschien dann mit einem nach Knabenart um die Hüften geschlungenen wollenen Gürtel. In acht Tagen lehrte er sie schwimmen: sie biß schneller darauf an als auf das Klavier; sie besaß einen Mut, der sie oftmals tüchtige Mengen Seewasser schlucken ließ. Ihre volle Jugend lachte in dieser herben Frische, wenn eine stärkere Welle sie gegeneinander schleuderte. Sie entstiegen dem Bade, von Salz glänzend, und ließen ihre nackten Arme vom Winde trocknen, ohne ihre kühnen Wildfangsspiele zu unterbrechen. Das war noch lustiger als das Angeln.
    Die Tage verstrichen, man war im Monat August, und Lazare traf keine Entscheidung. Pauline sollte im Oktober in eine Erziehungsanstalt zu Bayeux gebracht werden. Wenn sie das Meer in eine behagliche Mattigkeit versetzt hatte, streckten sie sich auf dem Sand aus und sprachen sehr vernünftig über ihre Angelegenheiten. Sie brachte es schließlich dahin, daß er sich für die Medizin interessiere, indem sie ihm auseinandersetzte, daß es, wäre sie ein Mann, ihre Leidenschaft sein werde, die Menschen zu heilen. Gerade seit einer Woche war es um das »irdische Paradies« schlecht bestellt, er bezweifelte sein Genie. Gewiß gab es auch einen medizinischen Ruhm, es fielen ihm die großen Namen von Hippokrates, Ambroise Paré und anderen mehr ein. Eines Nachmittags aber stieß er einen Freudenschrei aus, er hielt sein Meisterwerk in Händen. Das »Paradies« war blöd, er warf das Zeug in den Winkel und schrieb die Sinfonie des Schmerzes , ein Blatt, auf dem er in erhabenen Harmonien die verzweifelte Klage der unter dem Himmel schluchzenden Menschheit in Noten setzte; er benutzte seinen Adam- und Evamarsch und machte ohne viel Umstände einen Totenmarsch daraus. Acht Tage lang nahm seine Begeisterung von Stunde zu Stunde zu, er umfaßte das Weltall in seinem Entwurfe. Eine zweite Woche verging, und seine Freundin war sehr erstaunt, ihn eines Abends sagen zu hören, daß er doch gern Medizin in Paris studieren werde. Er hatte sich überlegt, daß ihn dieser Schritt dem Konservatorium näher bringe: er wollte nur erst in Paris sein, dann werde er schon sehen. Das war eine große Freude für Frau Chanteau. Sie hätte zwar vorgezogen, ihren Sohn in der Verwaltung oder im Richterstande zu sehen; aber die Ärzte waren zum wenigsten ehrbare Leute und verdienten viel Geld.
    »Du bist eine kleine Fee!« sagte sie mit einem Kuß zu Pauline. »Du lohnst uns deine Aufnahme bei uns gut, mein Schätzchen.«
    Alles wurde geordnet. Lazare sollte am ersten Oktober abreisen. Jetzt begannen die Ausflüge im September von neuem mit größerem Eifer; die beiden Kameraden wollten ihr schönes Leben der Freiheit würdig beschließen. Sie vergaßen sich bis in die Nacht hinein auf dem Sande der Schatzbucht.
    Eines Abends betrachteten sie, nebeneinander ausgestreckt, die wie feurige Perlen den erbleichenden Himmel punktierenden Sterne. Sie war ernst und äußerte die ruhige Bewunderung eines gesunden Kindes. Er, stets im Fieber, seitdem er sich auf die Abreise vorbereitete, bewegte nervös die Lider inmitten der plötzlichen Sprünge seines Willens, der ihn unaufhörlich zu neuen Vorsätzen fortriß.
    »Die Sterne sind schön«, sagte sie ernst nach langem Schweigen.
    Er ließ das Schweigen fortdauern. Sein Frohsinn strahlte nicht mehr so hell, ein inneres Unbehagen trübte seine weitgeöffneten Augen. Am Himmel nahm das Ameisengewimmel der Sterne von Minute zu Minute zu, es sah aus gerade wie quer durch die Unendlichkeit geschleuderte Schaufeln glühender Kohlen.
    »Du hast es nicht gelernt«, murmelte er endlich. »Jeder Stern ist eine Sonne, um welche Getriebe wie die Erde rollen; und hinter diesen gibt es noch Milliarden andere und immer andere.«
    Er schwieg und begann von neuem mit einer von heftigem Schauer gewürgten Stimme:
    »Ich betrachte sie nicht gern; sie flößen mir Furcht ein.«
    Das steigende Meer ließ ferne Klagelaute ertönen, sie glichen der Verzweiflung einer ihr Elend klagenden Menge. An dem ungeheuren, jetzt schwarzen Horizonte flammte der fliegende Staub der Welten. Inmitten dieser Klage der unter der endlosen Zahl von Sternen erdrückten Erde meinte das Kind neben sich einen Ton wie Schluchzen zu hören.
    »Was hast du denn? Bist du krank?«
    Er antwortete nicht, er schluchzte, das Gesicht mit den heftig gekrampften Händen bedeckt, als wolle er nichts mehr sehen. Als er wieder sprechen konnte, stammelte er:
    »Oh!
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