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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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Möbeln selbst aufgelesen hatte. Einzelne Sätze befriedigten ihn nicht mehr; die himmlische Süße der Vernichtung am Schlüsse, in alltäglicher Weise durch einen Walzerrhythmus ausgedrückt, würde wahrscheinlich besser durch das Tempo eines sehr verlangsamten Marsches wiedergegeben werden. Eines Abends hatte er erklärt, er wolle alles von vorn beginnen, sobald er Zeit habe. Sein begehrliches Verlangen, sein Unbehagen, aus der beständigen Berührung mit dem jungen Mädchen hervorgegangen, schien mit dem Fieber seines Genies ebenfalls verflogen zu sein. Es war ein Meisterwerk, auf eine bessere Zeit verschoben, eine große Leidenschaft, deren Stunde er nach Belieben vorrücken und verlangsamen zu können glaubte, gleichfalls zurückgestellt. Er behandelte seine Base von neuem wie eine alte Freundin, wie die angetraute Frau, die sich ihm an dem Tage hingeben werde, an welchem er die Arme öffnet. Seit dem April lebten sie nicht mehr in enger Eingeschlossenheit, der Wind trug die Glut ihrer Wangen davon. Das große Zimmer blieb leer, beide liefen jenseits von Bonneville am felsigen Strande entlang und prüften die Punkte, an denen die Palissaden und Dämme errichtet werden sollten. Oft kehrten sie mit den Füßen im frischen Wasser, abgespannt und rein zurück wie in den fernen Tagen der Kindheit. Wenn Pauline, um ihn zu necken, den famosen Todesmarsch spielte, rief Lazare:
    »So schweige doch! ... Das sind Dummheiten!«
    Noch am Abend des Besuches des Zimmermeisters wurde Chanteau von einem Gichtanfall betroffen. Die Anfälle kehrten jetzt fast alle Monate wieder; nachdem das Salizyl sie zuerst beschwichtigt hatte, schien es jetzt ihre Heftigkeit zu verdoppeln. Pauline sah sich vierzehn Tage an das Bett des Onkels gefesselt. Lazare, der seine Studien am Strande fortsetzte, nahm nunmehr Luise mit, um sie von dem Kranken fernzuhalten, dessen Anfälle sie erschreckten. Da sie das Fremdenzimmer gerade über dem Chanteaus bewohnte, mußte sie, um schlafen zu können, sich die Ohren verstopfen und den Kopf in das Kissen stecken. Draußen lächelte sie wieder liebenswürdig, sie war entzückt von dem Spaziergange und vergaß den armen, heulenden Mann.
    Es waren reizende Tage. Der junge Mensch hatte seine neue Begleiterin zuerst überrascht betrachtet. Sie war so ganz anders wie jene; sie schrie auf, wenn eine Seespinne ihren Halbschuh streifte, sie fürchtete sich vor dem großen Wasser und glaubte sich bereits ertrunken, wenn sie über eine Pfütze springen mußte. Die Kiesel verwundeten ihre kleinen Füße, sie schloß nie den Sonnenschirm und ihre Hände staken bis zu den Ellenbogen in Handschuhen, in beständiger Furcht, der Sonne ein Eckchen ihrer zarten Hand überlassen zu müssen. Nach dem ersten Erstaunen hatte er sich durch diese ängstliche Anmut verführen lassen, diese Hilflosigkeit, die stets bereit war, bei ihm Zuflucht zu suchen. Sie roch nicht nach der freien Luft; sie berauschte ihn vielmehr durch ihren lauen Heliotropduft. Schließlich war es kein Knabe, der an seiner Seite dahingaloppierte, es war ein Weib, dessen Strümpfe, wenn er bei einem Windstoße sie erblickte, das Blut in seinen Adern rascher pulsieren ließen. Aber sie war nicht so schön wie die andere, älter und schon verblichen; sie besaß indessen einen einschmeichelnden Reiz, ihre kleinen, schmiegsamen Gliedmaßen ließen sich gehen, ihre ganze kokette Persönlichkeit versprach ein Glück. Es war ihm, als entdecke er sie mit einem Male, er erkannte das hagere Mädchen von ehemals nicht wieder. War es möglich, daß die langen Jahre des Pensionats dieses so beunruhigende, junge Mädchen geschaffen hatten, das in seiner Jungfräulichkeit so voll vom Manne war und auf dem Grunde der klaren Augen die Lüge seiner Erziehung trug? Er ließ sich nach und nach von einem besonderen Geschmack für sie einnehmen, von einer vererbten Leidenschaft, in welcher sich seine einstige Kinderfreundschaft zu sinnlichen Gelüsten verfeinerte.
    Als Pauline das Zimmer des Onkels verlassen konnte und Lazare wieder zu begleiten begann, fühlte sie sofort, daß zwischen ihm und Luise eine neue Luft wehte; es wurden Blicke, Lachen ausgetauscht, an denen sie keinen Anteil hatte. Sie wollte sich erklären lassen, was jene belustigte, und lächelte kaum darüber. Während der ersten Tage spielte sie sich auf die Mütterliche hinaus und behandelte sie wie junge Narren, die über ein Nichts scherzen können. Bald aber wurde sie trübselig, jeder Spaziergang deuchte ihr

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