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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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rief er. »Bist du gefallen?«
    Der Gedanke, daß sie herumlungerte, um ihn auszuspionieren, durchkreuzte sein Gehirn. Sie aber antwortete nicht, sie rührte sich nicht; und er sah sie mit geschlossenen Augen, wie erschlagen, vor sich liegen. Ohne Zweifel hatte in dem Augenblicke, in welchem sie Hilfe suchen gegangen war, eine Ohnmacht sie auf die Fliesen hingestreckt.
    »Pauline, antworte mir, ich beschwöre dich ... Wo leidest du?«
    Er hatte sich gebückt und leuchtete ihr ins Gesicht. Hoch gerötet, schien sie von einem heftigen Fieber durchglüht zu werden. Das unwillkürliche Verlegenheitsgefühl, das ihn angesichts dieser jungfräulichen Nacktheit zurückhielt von dem Versuch, sie auf den Armen in ihr Bett zurückzutragen, wich sofort seiner brüderlichen Besorgnis. Er bemerkte ihre Blöße nicht mehr, er packte sie an den Schenkeln und unter dem Kreuze, ohne sich auch nur dieser zarten Frauenhaut an seiner Männerbrust bewußt zu sein. Als er sie wieder gebettet hatte, befragte er sie abermals, ohne an ein Heraufziehen der Bettdecke zu denken.
    »Mein Gott, so sprich doch! Bist du vielleicht verwundet?«
    Die Erschütterung öffnete ihr die Augen. Aber sie sprach noch immer nicht, sie sah ihn starr an; als er noch des weiteren in sie drängte, führte sie endlich die Hand an ihre Kehle.
    »Du leidest am Halse?«
    Mit einer veränderten, mühsam pfeifenden Stimme flüsterte sie nur ganz leise:
    »Zwinge mich nicht zum Sprechen, ich bitte dich ... Es tut mir zu weh!«
    Abermals wurde sie von einem Hustenanfalle heimgesucht, von demselben Keuchhusten, den er in seinem Zimmer vernommen hatte. Ihr Gesicht lief bläulich an, der Schmerz war so entsetzlich, daß ihre Augen sich mit schweren Tränen füllten. Sie legte beide Hände an ihren armen, erschütterten Kopf, in dem das Hämmern eines schrecklichen Kopfschmerzes arbeitete.
    »Das hast du dir heute geholt«, stotterte er fassungslos. »War das wohl vernünftig, krank wie du schon warst?«
    Er stockte jedoch, als er von neuem ihre flehenden Blicke auf sich gerichtet sah. Mit tastender Hand suchte sie nach dem Oberbett. Er deckte sie bis an das Kinn zu.
    »Willst du den Mund öffnen, um mich hineinschauen zu lassen?«
    Sie konnte kaum die Kiefer auseinander bekommen. Er näherte die Flamme des Wachslichtes, er erkannte nur mühsam den trocknen, in einem lebhaften Rot schimmernden hinteren Teil des Halses. Das war zweifellos eine Bräune. Dieses entsetzliche Fieber, dieser fürchterliche Kopfschmerz nur ängstigte ihn betreffs der Natur dieser Bräune. Das Gesicht der Kranken drückte ein so angstvolles Erwürgungsgefühl aus, daß er eine tolle Furcht hatte, sie vor seinen Augen ersticken zu sehen. Sie schlang nicht mehr, jede Schluckbewegung erschütterte sie vollständig. Ein neuer Hustenanfall ließ sie abermals die Besinnung verlieren. Da geriet er in die äußerste Bestürzung und donnerte mit Faustschlägen an die Tür der Magd.
    »Veronika! Veronika! Steh auf! ... Pauline stirbt!«
    Als Veronika bestürzt und halb bekleidet bei dem Fräulein eintrat, fand sie ihn fluchend und mit Händen und Füßen gestikulierend mitten im Zimmer. Welch ein elendes Nest! Man könnte hier wie ein Hund krepieren ... Mehr als zwei Meilen weit muß man nach Hilfe schicken!«
    Er kam ihr entgegen.
    »Suche jemanden aufzutreiben, der zum Arzt läuft und ihn gleich herbringt.«
    Sie hatte sich dem Bette genähert und beschaute die Kranke. Es ergriff sie tief, sie so gerötet zu sehen, und sie fühlte sich in ihrer wachsenden Neigung für das zuerst so verabscheute Kind aufs höchste erschrocken.
    »Ich laufe selbst,« sagte sie ohne weiteres, »dann geht es um so schneller ... Die Frau kann im Notfalle unten Feuer machen!«
    Kaum richtig aufgewacht, steckte sie die Füße in große Stiefel und hüllte sich in ein Umschlagetuch. Nachdem sie Frau Chanteau beim Heruntergehen von dem Vorgefallenen benachrichtigt, lief sie mit weit ausholenden Schritten auf der aufgeweichten Straße davon. Von der Kirche schlug es zwei Uhr, die Nacht war so schwarz, daß sie gegen die Steinhaufen anlief.
    »Was gibt es denn?« fragte Frau Chanteau, als sie hinaufkam.
    Lazare antwortete kaum. Er hatte soeben mit toller Hast im Schranke nach seinen alten medizinischen Büchern gesucht; über die Kommode gebeugt, durchblätterte er mit zitternden Fingern die Seiten und versuchte sich die ehemaligen Studien in das Gedächtnis zurückzurufen. Aber alles ging wirr durcheinander, alles verwirrte sich, er

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