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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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griff unaufhörlich auf das Inhaltsverzeichnis zurück und fand nichts mehr.
    »Es ist jedenfalls eine starke Migräne,« wiederholte Frau Chanteau, die sich gesetzt hatte; »das beste ist, sie schlafen zu lassen.«
    »Eine Migräne! Eine Migräne!... Höre, Mama, du reizest mich, wenn du dabei so ruhig bleiben kannst. Geh hinunter und mache Wasser heiß.«
    »Es ist wohl nicht nötig, Luise zu stören?« fragte sie noch.
    »Völlig überflüssig... Ich brauche niemanden. Ich werde rufen.«
    Als er wieder allein war, ergriff er Paulinens Hand, um ihre Pulsschläge zu fühlen. Er zählte hundertfünfzehn. Er fühlte diese brennende Hand, die unaufhörlich die seine preßte. Das Mädchen, dessen schwere Lider geschlossen blieben, legte in diesen Druck einen Dank und eine Bitte um Verzeihung. Konnte sie nicht mehr lächeln, so wollte sie dennoch zu verstehen, geben, daß sie alles gehört hatte und gerührt war, ihn bei sich zu wissen, allein bei ihr ohne Gedanken an eine andere. Gewöhnlich hatte er einen tiefen Abscheu vor allen Leiden, er flüchtete vor dem geringsten Übelbefinden der Seinen als schlechter Krankenwärter, so wenig seiner Nerven sicher, wie er sagte, daß er in ein Schluchzen auszubrechen drohte. Sie empfand denn auch eine mit Dankbarkeit gemischte Überraschung, als sie ihn so ergeben sah. Er selbst hätte nicht sagen können, welche Teilnahme ihn aufrichtete, welches Bedürfnis, sich ganz auf sich selbst zu verlassen, um ihr Linderung zu verschaffen. Der Druck dieser kleinen Hand machte ihn wirr, er wollte ihr Mut machen.
    »Das hat nichts zu bedeuten, Liebe. Ich erwarte Cazenove... Vor allem, fürchte dich nicht.«
    Sie blieb mit geschlossenen Augen liegen und flüsterte mühsam:
    »Ich habe keine Furcht... Es tut mir nur leid, dich zu stören.« Mit noch leiserer Stimme, die flüchtig wie ein Hauch klang:
    »Du verzeihst mir?... Ich bin heute recht häßlich gewesen.«
    Er beugte sich über sie, um sie, als sei sie seine Frau, auf die Stirn zu küssen. Dann wandte er sich ab, denn Tränen erstickten ihn. Es fiel ihm ein, wenigstens, ein Beruhigungsmittel zu bereiten, bis der Doktor komme. Die kleine Apotheke des jungen Mädchens befand sich in einer schmalen Wandverkleidung. Er fürchtete nur, sich zu irren, befragte sie über alle Flaschen und goß schließlich einige Morphiumtropfen in ein Glas Zuckerwasser. Wenn sie einen Löffel davon schluckte, wurde der Schmerz so heftig, daß er jedesmal zögerte, ihr eine weitere Dosis zugeben. Das war alles, er fühlte sich nicht imstande mehr zu versuchen. Das Warten wurde unerträglich. Als er sie nicht mehr leiden sehen konnte und ihm durch das Stehen am Bette die Beine zu brechen drohten, öffnete er abermals die Bücher in dem guten Glauben, endlich den Fall und das Mittel zu finden. War es eine Blutbräune? Er hatte indessen keine falschen Häutchen auf den Bändern des Weichteils des Gaumens bemerkt, vertiefte sich in die Lektüre der Beschreibung und Behandlung der Blutbräune, verlor sich in die Reihe von langen Sätzen, deren Sinn ihm entging, und klammerte sich an unnütze Einzelheiten, wie ein Kind, das eine ihm unverständliche Aufgabe auswendig lernt. Dann führte ihn ein Seufzer an das Bett zurück; er zitterte, und der Kopf summte ihm vor wissenschaftlichen Bezeichnungen, deren holperige Silben seine Ängstlichkeit verdoppelten.
    »Nun?« fragte Frau Chanteau: die ganz sacht heraufgekommen war.
    »Noch dasselbe«, antwortete er. Erregt fügte er hinzu:
    »Unerträglich, dieser Arzt ... Bis dahin kann man zwanzigmal tot sein.«
    Die Türen waren offen geblieben; Mathieu, der unter dem Küchentische schlief, kam in seiner Sucht, den Leuten durch alle Räume des Hauses zu folgen, soeben die Treppe herauf. Seine dicken Pfoten machten auf dem Fußboden das Geräusch von alten Wollschuhen. Er war höchst vergnügt über dieses nächtliche Abenteuer, wollte zu Pauline hinaufspringen und schnappte nach seinem Schwanze als ein die Trauer seiner Herren nicht kennendes Tier. Aufgebracht durch diese ungelegene Fröhlichkeit, versetzte Lazare dem Tier einen Fußtritt.
    »Marsch fort, oder ich erwürge dich! ... Siehst du nicht, Dummkopf!«
    Der Hund, den es überraschte, daß man ihn schlug, schnupperte und kroch dann, als habe er plötzlich alles begriffen, demütig unter das Bett. Aber diese Roheit hatte Frau Chanteau aufgebracht. Ohne länger zu warten, ging sie wieder in die Küche hinunter und sagte vorher trocken:
    »Wenn du willst ... Das

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