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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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Hintergrunde des Zimmers gezischelt worden. Ein peinliches Schweigen trat ein, als sich eine leise Stimme vom Bette her erhob.
    »Nimm den Schlüssel unter meinem Kopfkissen, Lazare, und gib der Tante, was sie will.«
    Beide standen betroffen da. Er wehrte sich, wollte nicht in der Kommode herumkramen. Aber man mußte nachgeben, um Pauline nicht zu quälen. Als er seiner Mutter einen Hundertfrankenschein eingehändigt hatte und den Schlüssel wieder unter das Kopfkissen schob, fand er die Kranke in einem abermaligen Schauer, der sie wie einen jungen Baum fast bis zum Knicken schüttelte. Zwei schwere Tränen rannen aus ihren armen, geschlossenen Augen über ihre Wangen.
    Doktor Cazenove erschien erst zur üblichen Stunde. Er hatte den kleinen Cuche, der wahrscheinlich im Straßengraben spielte, nicht gesehen. Sobald er Lazare angehört und einen Blick auf Pauline geworfen hatte, rief er:
    »Sie ist gerettet!«
    Diese Übelkeiten, diese schrecklichen Schauer waren ganz einfach die Anzeichen für das endliche Aufgehen des Geschwürs. Die Erstickung war nicht mehr zu befürchten, sobald das Übel sich von selbst zu lösen begann. Die Freude war groß, Lazare begleitete den Arzt, und da Martin, der mit seinem Holzbeine im Dienste des letzteren gebliebene ehemalige Matrose in der Küche ein Glas Wein trank, wollten alle auf die Genesung anstoßen. Frau Chanteau und Luise nahmen einen Nußschnaps zu sich.
    »Ich bin nie ernstlich besorgt gewesen«, sagte die erstere. »Ich fühlte gleich, daß es nichts zu bedeuten habe.«
    »Das hindert nicht, daß das liebe Kind schwere Tage gesehen hat«, entgegnete Veronika. »Wahrhaftig; wenn mir einer hundert Sous schenkte, würde ich nicht so zufrieden sein.«
    In diesem Augenblicke trat Abbé Horteur in die Küche. Er wollte sich erkundigen und nahm einen Tropfen Likör an, um dem Beispiele aller zu folgen. Er war jeden Tag als guter Nachbar gekommen, Nachfrage zu halten. Lazare hatte ihm gleich bei dem ersten Besuch bedeutet, er werde ihn nicht zu der Kranken lassen, um sie nicht zu erschrecken, und der Priester hatte darauf erwidert, daß er es vollkommen verstehe. Er begnügte sich mit dem Lesen von Messen für das arme Fräulein. Während Chanteau mit ihm anstieß, lobte er ihn wegen seiner Duldsamkeit.
    »Sie sehen, daß sie sich auch ohne das »oremus« aus der Geschichte gezogen hat.«
    »Jeder rettet sich, wie er es versteht«, erklärte der Geistliche im lehrhaften Tone und trank sein Glas vollends aus.
    Als der Doktor fort war, wollte Luise hinauf, um Pauline zu umarmen. Diese litt noch große Schmerzen, aber das Leiden schien nicht mehr ins Gewicht zu fallen. Lazare rief ihr vergnügt Mut zu; er gab das Heucheln auf und übertrieb selbst die überstandene Gefahr, indem er ihr erzählte, er habe sie dreimal tot in den Armen zu halten geglaubt. Sie dagegen bezeugte ihre Freude über die Rettung nicht so laut, aber fühlte sich von der Süße des Lebens durchdrungen, nachdem sie den Mut gehabt, sich an den Tod zu gewöhnen. Zärtliche Empfindungen huschten über ihr Gesicht, sie hatte ihm die Hand gedrückt und mit einem Lächeln geflüstert:
    »Jetzt, lieber Freund, kannst du nicht entschlüpfen; ich werde dein Weib sein.«
    Die Genesung begann mit Zeiten langen Schlafes. Sie schlief ganz ruhig mit sanftem Atmen tagelang in einer Genesung bringenden Bewußtlosigkeit. Minouche, die man in den bittersten Stunden der Krankheit aus dem Zimmer gejagt, benutzte diesen Frieden, um sich wieder einzuschleichen; sie glitt ganz leise auf das Bett und rollte sich zur Seite ihrer Herrin zusammen und verbrachte den ganzen Tag im Genuß der lauen Bettwärme; oftmals putzte sie sich unendlich lange, wobei sie das Fell mit Zungenstrichen behandelte; aber ihre Bewegungen waren so geschmeidig, daß die Kranke sie nicht einmal sich regen fühlte. Unterdessen schnarchte nach Menschenart der ebenfalls in das Zimmer zugelassene Mathieu, quer am Fußende des Bettes gelagert.
    Eine der ersten Launen Paulines war, am folgenden Sonnabend ihre kleinen Freunde aus dem Dorfe zu sich zu entbieten. Man begann bereits nach der, drei Wochen hindurch beobachteten strengen Diät, ihr weich gekochte Eier zu erlauben. Sie war noch sehr schwach und konnte die Kinder nur sitzend empfangen. Lazare hatte abermals in ihrer Kommode nachsehen müssen, um ihr Fünffrankenstücke einzuhändigen. Aber als sie ihre Armen ausgefragt und eigensinnig das mit ihnen geregelt hatte, was sie ihre rückständigen Rechnungen

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