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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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nicht ... Ich will ebenfalls schlafen.«
    Diese Schlafkomödie spielte sie des Abends ab, um ihn zu Bett zu schicken. Er aber bestand hartnäckig darauf, bei ihr in einem Lehnstuhl zu wachen. Die Nächte waren so schlecht, daß er den Tag nicht ohne einen abergläubischen Schrecken schwinden sah. Werde die Sonne jemals wieder aufgehen?
    Eines Nachts hielt Lazare, an das Bett gelehnt, Paulinens Hand in der seinen, wie er oft tat, um ihr in dieser Weise zu sagen, daß er bei ihr sei und sie nicht verlasse. Doktor Cazenove war um zehn Uhr abgefahren, wütend, für nichts mehr bürgend. Bis dahin hatte der junge Mann Trost in dem Glauben gefunden, daß sie selbst sich nicht in Gefahr sehe. In ihrer Nähe sprach man von einer einfachen, sehr schmerzlichen Halsentzündung, die aber ebenso leicht vorübergehen werde wie ein Schnupfen. Sie selbst schien ruhig mit ihrem tapfern Gesicht, stets heiter trotz ihres Leidens. Wenn man von ihrer Heilung sprach und Pläne daran knüpfte, lächelte sie. So hörte sie auch in jener Nacht noch Lazare den Plan eines Spazierganges an den Strand bei Gelegenheit ihres ersten Ausganges erörtern. Dann war Schweigen eingetreten; sie schien zu schlummern, als sie plötzlich zu Ende einer langen, langen Viertelstunde mit deutlicher Stimme flüsterte:
    »Mein armer Freund, ich glaube, du wirst eine andere Frau heiraten.«
    Er war wie vor den Kopf geschlagen, ein eisiges Frösteln kroch ihm über den Nacken.
    »Wie meinst du das?« fragte er.
    Sie hatte die Augen geöffnet und sah ihn mit ihrem Ausdrucke mutiger Entsagung an.
    »Geh! ich weiß sehr gut, was mir fehlt ... Es ist mir lieber, wenn ich alles weiß, damit ich euch wenigstens noch einmal küssen kann.«
    Lazare wurde böse; es sei toll, sich solche Gedanken zu machen; eine weitere Woche, und sie werde wieder auf den Füßen sein. Er ließ ihre Hand fahren und flüchtete unter einem Vorwande in sein Zimmer, denn das Schluchzen erstickte ihn. Dort im Dunkel überließ er sich seinem Schmerze, quer über das Bett hingesunken, in dem er seit langer Zeit nicht mehr schlief. Eine entsetzliche Gewißheit hatte ihm das Herz mit einem Male zusammengeschnürt. Pauline ging dem Tode entgegen, vielleicht überlebte sie diese Nacht nicht mehr. Der Gedanke, daß sie es wußte, daß ihr bisheriges Schweigen eine Heldentat des Weibes war, das selbst im Tode die Empfindung der anderen schont, brachte ihn vollends zur Verzweiflung. Sie wußte es, sie sah den Todeskampf kommen, und er werde ohnmächtig dabeistehen. Schon glaubte er das letzte Lebewohl zu hören, die Szene mit ihren traurigen Einzelheiten inmitten der Finsternis des Zimmers sich abspielen zu sehen. Es war das Ende von allem; er nahm das Kopfkissen zwischen seine krampfhaft zuckenden Arme und drückte das Haupt hinein, um sein Schluchzen zu ersticken.
    Die Nacht verstrich indessen ohne Katastrophe. Ebenso zwei weitere Tage. Jetzt aber knüpfte sie ein neues Band aneinander: die stete Gegenwart des Todes. Sie gab sich keiner Täuschung mehr über die Bedenklichkeit ihres Zustandes hin und fand noch die Kraft zu lächeln; ihm selbst gelang es, eine völlige Gelassenheit zu heucheln, die Hoffnung, sie von einer Stunde zur andern sich erheben zu sehen, trotzdem sagte sich alles, bei ihr wie bei ihm ein beständiges Lebewohl inmitten der anhaltenden Zärtlichkeit sich begegnender Blicke. In der Nacht namentlich, während er bei ihr wachte, hörten sie schließlich selbst ihre gegenseitigen Gedanken heraus; die Drohung der ewigen Trennung brachte tiefe Rührung selbst in ihr Schweigen. Nichts war von so grausamer Süße; nie hatten sie ihre Wesen so völlig ineinander übergehen fühlen.
    Eines Morgens bei Sonnenaufgang erstaunte Lazare über seine Ruhe bei dem Gedanken an den Tod. Er versuchte, sich die Daten in das Gedächtnis zurückzurufen: seit dem Tage, an dem Pauline erkrankt war, hatte er nicht ein einziges Mal vom Scheitel bis zu den Sohlen den kalten Schrecken des Nicht-mehr-seins gefühlt. Wenn er um den Verlust seiner Genossin zitterte, so war es ein anderer Schrecken, der nichts mit der Zerstörung seines Ichs zu tun hatte. Das Herz blutete ihm, aber ihm war, als ob diese dem Tode gelieferte Schlacht ihn dem Tode gleich stark mache, ihm Mut einflöße, jenem ins Antlitz zu schauen. Vielleicht lagen auch nur Ermüdung und Abstumpfung in dem Schlafe, der seine Furcht betäubte. Er schloß die Augen, um die Sonne nicht aufsteigen zu sehen, er wollte den Angstschauer wiederfinden, indem

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