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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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daß er leiden werde, weil er sich gern überfrißt und die Gefahr herausfordert! Aber noch ungerechter wäre es, mein Kind, wenn Sie sich wieder in das Bett legen würden. Seien Sie deshalb vernünftig! Ihre Gesundheit verlangt noch Schonung.«
    Sie schonte sich indessen kaum, denn sie widmete ihm alle Stunden. In den Tagen, die sie bei ihrem Onkel zubrachte, hatte sie weder einen klaren Begriff von der Zeit noch vom Wetter, noch selbst vom Leben. Die Ohren summten ihr von den Klagen, von denen das Zimmer widerklang. Dieser Bann war so stark, daß sie darüber Lazare und Luise vergaß, sie wechselte nur im Vorübergehen ein paar Worte mit ihnen und sah sie überhaupt nur in den seltenen Augenblicken, wenn sie gerade durch das Eßzimmer eilte. Die Arbeiten am Bollwerk waren mittlerweile beendet. Heftige Regengüsse fesselten die jungen Leute schon seit einer Woche an das Haus; und wenn ihr plötzlich der Gedanke an deren Beisammensein wiederkehrte, tat es ihr wohl, jene in ihrer Nähe zu wissen.
    Frau Chanteau schien noch nie so beschäftigt gewesen zu sein. Sie benutzte, wie sie sagte, die Unordnung, welche die Anfälle ihres Gatten über die Familie brachten, um ihre Papiere durchzusehen, Abrechnungen aufzustellen und ihren Briefwechsel nachzuholen. Auch des Nachmittags schloß sie sich in ihr Zimmer ein und ließ somit Luise allein, die sofort zu Lazare hinaufstieg, da ihr das Alleinsein entsetzlich war. Das war jetzt zur Gewohnheit geworden, sie blieben bis zur Mittagszeit in dem großen Gemach des zweiten Stockwerkes beisammen, das Pauline so lange als Studier- und Erholungszimmer gedient hatte. Das schmale Bett des jungen Mannes befand sich noch immer hinter dem Wandschirm verborgen dort, während das Klavier sich mit Staub bedeckte und der ungeheure Tisch unter einer Flut von Papieren, Büchern und Flugschriften verschwand. Mitten auf dem Tische stand zwischen zwei vertrockneten Algenbündeln ein wie ein Spielzeug großes Palisadenwerk, das mit einem Taschenmesser aus Tannenholz geschnitten war und an das Meisterstück des Großvaters erinnerte, an jene Brücke, die in ihrem Glaskasten das Speisezimmer schmückte.
    Lazare zeigte sich seit einiger Zeit nervös. Seine Arbeiterschar hatte ihn erbittert, er war an die Arbeit gegangen wie an einen zu schweren Frondienst, ohne die Freude zu genießen, seine Gedanken endlich verwirklicht zu sehen. Andere Entwürfe beschäftigten ihn, wirre Zukunftspläne, Anstellungen in Caen, Arbeiten, die ihn sehr in die Höhe bringen sollten. Er tat aber nie einen ernstlichen Schritt, er verfiel immer wieder in einen Müßiggang, der ihn von Stunde zu Stunde verbitterter, schwächer und mutloser machte. Dieses Unbehagen vermehrte die tiefe Erschütterung, die ihn während der Krankheit Paulinens durchrüttelt hatte; es wurde gesteigert durch ein Bedürfnis nach frischer Luft und durch eine eigentümliche körperliche Erregtheit, als folge er der gebieterischen Notwendigkeit, am Schmerze Vergeltung üben zu müssen. Luisens Anwesenheit erhöhte noch dieses Fieber; sie konnte nicht mit ihm sprechen, ohne sich an seine Schulter zu lehnen, und hauchte ihm ihr hübsches Lachen in das Gesicht. Ihre katzenhafte Anmut, ihr Duft eines gefallsüchtigen Weibes, all diese freundschaftliche und verwirrende Hingabe berauschten ihn vollends. Es erwachte schließlich in ihm ein krankhaftes, von Gewissensbissen bekämpftes Verlangen. Mit einer Freundin seiner Kindheit, im Hause seiner Mutter, war es unmöglich, der Gedanke an die Rechtschaffenheit lähmte ihm jäh die Arme, wenn er sie im Spiel ergriff und ein plötzliches Feuer ihm das Blut in die Haut jagte. In diesen Kämpfen hielt ihn indessen niemals das Bild Paulinens zurück; sie würde nie etwas davon erfahren haben, ein Gatte betrügt ja auch wohl seine Frau mit einer Magd. Des Nachts erdachte er sich allerlei Geschichten; man habe Veronika, die unerträglich geworden, fortgeschickt, und Luise sei nichts weiter als eine junge Dienstmagd, zu der er, barfuß hinüberschlüpfe. Wie häßlich das Leben alles einrichtete! So übertrieb er in wütenden Ausbrüchen vom Morgen bis zum Abend seinen Pessimismus über Frauen und Liebe. Alles Übel rührte von den dummen, leichtsinnigen Weibern her, die den Schmerz mit Hilfe des Verlangens zu einem ewigen gestalten; die Liebe sei nichts als eine Prellerei, das selbstsüchtige Drängen der zukünftigen Geschlechter, die doch auch leben wollten. Der ganze Schopenhauer wurde durchgenommen und mit

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