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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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fragen?« sagte Pauline, ohne weiter darauf zu achten.
    Aber die Magd hatte in ihrer losgelassenen Wut die Fäuste in die Seiten gestemmt, und ihre Worte flossen ohne Überlegung.
    »Ah ja, die gerade da oben sind zu sehr damit beschäftigt, sich das Gesicht abzulecken.«
    »Wie?« stotterte das junge Mädchen und wurde totenbleich.
    Veronika, selbst erstaunt über den Klang ihrer Stimme, wollte diese vertrauliche Mitteilung, die sie schon lange Zeit bei sich behielt, zurücknehmen und suchte nach einer Erklärung, einer Lüge, ohne etwas Vernünftiges zu finden. Sie hatte sich vorsichtigerweise der Handgelenke Paulinens bemächtigt, aber diese riß sich mit einem jähen Ruck los und stürzte wie eine Tolle die Treppe hinauf, so erregt vor Zorn, daß die Magd ihr nicht zu folgen wagte; sie zitterte vor dieser farblosen, nicht wieder zu erkennenden Maske. Das Haus schien zu schlummern, eine Stille strömte von den oberen Stockwerken aus, nur das Geheul Chanteaus tönte durch diese tote Luft bis nach oben. Mit einem Sprunge erreichte das Mädchen den ersten Stock, aber dort rannte sie plötzlich gegen ihre Tante an. Diese stand dort aufrecht, vielleicht schon seit langer Zeit, auf der Lauer und versperrte wie eine Schildwache den Treppenabsatz.
    Pauline, außer Atem und durch dieses Hindernis wie vor den Kopf gestoßen, konnte nicht gleich antworten.
    »Laß mich«, stammelte sie endlich.
    Sie machte eine so schnelle Bewegung, daß Frau Chanteau zurücktaumelte. Dann stürmte sie mit einem zweiten Satze in das höhere Stockwerk, während ihre Tante wie versteinert, ohne einen Schrei, die Arme zum Himmel erhob. Es war wieder einer jener Anfälle wütender Auflehnung, deren Sturm inmitten der heitern Milde ihrer Natur losbrach und sie, als sie noch Kind war, wie tot hinstreckte. Sie glaubte sich schon seit Jahren geheilt. Aber der Hauch der Eifersucht packte sie so rauh, daß sie nicht an sich halten konnte, ohne sich selbst zu vernichten.
    Als Pauline bei der Tür Lazares angelangt war, stürzte sie sich mit einem Ruck hinein. Der Schlüssel wurde abgedreht, der Flügel schlug gegen die Mauer. Was sie sah, machte sie vollends toll. Lazare hatte Luise gegen den Schrank gedrängt und aß ordentlich mit Küssen deren Kinn und Hals, während diese, aus Furcht vor dem Manne schwach werdend, sich ihm hingab. Sie hatten zweifelsohne gespielt, und das Spiel endete schlecht.
    Es folgte ein Augenblick des Entsetzens. Alle drei starrten sich an. Endlich schrie Pauline:
    »Ah, du Schanddirne, du Schanddirne!«
    Vor allem erbitterte sie der Verrat des Weibes. Sie hatte Lazare mit einer verächtlichen Bewegung, wie ein Kind, dessen Schwächen ihr bekannt, beiseitegestoßen. Aber dieses Weib, welches sie duzte, dieses Weib, das ihr den Gatten stahl, während sie unten einen Kranken pflegte! Sie hatte Luise bei den Schultern gepackt und schüttelte sie mit dem Verlangen, sie zu prügeln.
    »Sage, warum hast du das getan? ... Du hast eine Niedertracht begangen, verstehst du!«
    Außer sich, mit unsicheren Blicken, stammelte Luise:
    »Er hielt mich fest, er hat mir schier die Knochen zerschlagen.«
    »Er? Laß doch das! Er wäre in Tränen ausgebrochen, wenn du ihn nur weggedrängt hättest.«
    Der Anblick des Zimmers peitschte ihren Groll noch mehr an, dieses Zimmers Lazares, wo sie sich geliebt hatten, in dem auch sie, unter dem glühenden Hauch des jungen Mannes, ihr Blut in den Adern hatte sieden fühlen. Was sollte sie diesem Weibe antun, um sich zu rächen? Gleichsam gelähmt in seiner Verlegenheit, entschloß sich Lazare endlich dazwischenzutreten, als sie Luise in so roher Weise freigab, daß deren Schultern gegen den Schrank stießen.
    »Ich habe Furcht vor mir selbst ... Fort!«
    Von diesem Augenblicke an fand sie kein anderes Wort. Sie verfolgte sie durch das Gemach, trieb sie auf den Flur, jagte sie die Treppe hinunter und schleuderte ihr immer den nämlichen Schrei nach: »Fort! Fort! Nimm deine sieben Sachen, nur fort.«
    Frau Chanteau hatte sich inzwischen auf dem Absatze des ersten Stockwerkes nicht gerührt. Die Schnelligkeit, mit der sich dieser Auftritt abspielte, hatte ihr Dazwischentreten unmöglich gemacht. Sie hatte aber jetzt ihre Stimme wiedergefunden. Sie gab ihrem Sohn durch ein Zeichen zu verstehen, sich in sein Zimmer einzuschließen; dann versuchte sie Pauline dadurch zu beruhigen, daß sie zuerst Überraschung heuchelte. Nachdem letztere Luise bis in deren Schlafzimmer gejagt, wiederholte sie noch immer

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