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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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fühlte sich so schwach, daß sie zwei oder drei Stunden im Lehnstuhle völlig erschöpften. Oft ließ sie das Buch in den Schoß fallen, eine Träumerei führte sie hinter ihrem Vetter und ihrer Freundin her. Wenn sie am Strande entlang gegangen waren, mußten sie zu den Grotten kommen, wo auf dem Sande in der Frische der Flutzeit so gut weilen war. Sie glaubte angesichts der Beständigkeit dieser Vision nur den Kummer zu empfinden, daß sie nicht bei ihnen sein könnte. Übrigens langweilte sie die Lektüre. Die Romane, die sich im Hause umhertrieben, diese Liebesgeschichten mit den poetisch beschönigten Treulosigkeiten, hatten ihre Geradheit, ihr Bedürfnis, sich zu geben und sich nicht mehr zurückzunehmen, stets empört. War es denn möglich, sein Herz zu belügen und eines Tages nicht mehr zu lieben, nachdem man geliebt hatte? Sie stieß das Buch von sich. Jetzt sahen ihre umherschweifenden Augen jenseits der Mauer ihren Vetter die Freundin heimbegleiten, sie sah, wie er ihren müden Gang unterstützte, daß sie sich aneinander lehnten und lachend und zischelnd sich unterhielten.
    »Ihre Arznei, Fräulein«, sagte Veronika plötzlich hinter Pauline und schreckte sie mit ihrer groben Stimme auf.
    Nach Verlauf der ersten Woche trat Lazare nicht mehr ein, ohne anzuklopfen. Als er eines Morgens die Tür aufstieß, sah er Pauline, wie sie im Bette mit nackten Armen sich kämmte.
    »Verzeihe!« murmelte er zurücktretend.
    »Was denn?« rief sie. »Jage ich dir Furcht ein?«
    Da entschloß er sich, näher zu treten, aber aus Besorgnis sie zu stören, wandte er den Kopf ab, während sie sich vollends das Haar aufsteckte.
    »Bitte, gib mir eine Nachtjacke«, sagte sie ruhig. »Da, im ersten Schubkasten. Es geht mir besser, ich werde wieder gefallsüchtig.«
    Er fand in seiner Verwirrung nur Hemden. Als er ihr endlich eine Jacke zugeworfen hatte, wartete er am Fenster, bis sie sich bis an das Kinn hinauf zugeknöpft hatte. Vierzehn Tage früher, als er sie noch im Todeskampfe liegen glaubte, hatte er sie wie ein kleines Kind in die Arme genommen, ohne zu bemerken, daß sie nackt war. Jetzt aber verletzte ihn selbst die Unordnung im Zimmer. Auch sie, von seiner Verlegenheit angesteckt, erbat sich bald nicht mehr die vertraulichen Dienstleistungen, die er ihr kurze Zeit erwiesen hatte.
    »So schließe doch die Tür, Veronika«, rief sie eines Morgens, als sie die Schritte des jungen Mannes im Flur vernahm. »Bringe alles beiseite und reiche mir jenes Halstuch.«
    Inzwischen ging es ihr täglich besser. Als sie sich aufrechthalten und an das Fenster lehnen konnte, machte es ihr großes Vergnügen, von fern der Herstellung des Bollwerkes zuzusehen. Man vernahm deutlich die Hammerschläge, man sah die sieben bis acht Leute, deren schwarze Flecke sich wie große Ameisen von den gelben Kieseln am Strande abhoben. Zwischen Ebbe und Flut tummelten sie sich eifrig; dann mußten sie vor der steigenden Flut zurückweichen. Pauline aber interessierte sich am meisten für Lazares weiße Jacke und Luisens rosa Kleid, die in der Sonne schimmerten. Sie verfolgte sie und fand sie immer wieder; sie hätte fast bis auf eine Bewegung erzählen können, in welcher Weise sie den Tag verbrachten. Jetzt, da die Arbeiten energisch in die Hand genommen waren, konnten beide nicht mehr nach den Grotten hinter den Abhängen verschwinden. Sie hatte beide stets in einer Entfernung von einem Kilometer in der belustigenden Kleinheit von Puppen unter dem ungeheuren Himmel vor sich. In diese wiederkehrenden Kräfte, die Fröhlichkeit der Genesung mischte sich ihr unbewußt die neidische Freude, auch in dieser Weise mit ihnen zusammen zu sein.
    »Was? Das zerstreut Sie, jene Männer arbeiten zu sehen?« wiederholte Veronika täglich beim Ausfegen des Zimmers. »Freilich ist es besser als lesen. Mir zerbrechen die Bücher den Kopf. Sehen Sie, wenn man sich neues Blut schaffen muß, sollte man, wie die Truthähne, sich die Sonne in den Schnabel scheinen lassen, um ein paar tüchtige Schlucke zu nehmen.«
    Sie war für gewöhnlich keine Schwätzerin, sogar eher duckmäuserisch. Aber mit Pauline plauderte sie aus Freundschaft in dem Glauben, ihr etwas Gutes damit zu erweisen.
    »Nichtsdestoweniger eine drollige Arbeit das ... Genug, wenn sie nur Herrn Lazare gefällt ... Wenngleich ich sage, daß sie ihm gefällt, scheint er doch nicht mehr mit rechter Lust bei der Sache zu sein. Aber er ist sehr hoch hinaus und setzt seinen Kopf darauf, und wenn er dabei vor

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