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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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aus der Lage gebrachten und fast zerquetschten Daumen.
    »Ich kann nicht so liegen bleiben, du mußt mir helfen... Ich hatte eine so schöne Lage herausgefunden!... Und sofort fängt es wieder an, ich möchte sagen, man reißt mir die Knochen mit einer Säge ab... Versuche doch, mich etwas aufzurichten.«
    Zwanzigmal in der Stunde mußte er seine Lage verändern. Eine unaufhörliche Angst quälte ihn, er hoffte immer auf Erleichterung. Aber sie fühlte sich noch so schwach, daß sie ihn nicht allein zu bewegen wagte. Sie flüsterte:
    »Veronika, hilf mir ihn vorsichtig aufheben.«
    »Nein, nein!« schrie er. »Veronika nicht, sie schüttelt mich.«
    So mußte Pauline selbst sich abmühen, daß ihr die Schultern krachten. Aber so leise sie ihn auch bettete, er stieß doch ein Geheul aus, das die Magd in die Flucht jagte. Diese versicherte, man müßte geradezu eine Heilige wie das Fräulein sein, um nicht einen Abscheu gegen derartige Verrichtungen zu verspüren; der liebe Gott selbst werde flüchten, höre er den Herrn so brüllen.
    Die Anfälle traten jetzt zwar weniger heftig auf, dauerten aber Tag und Nacht, verschlimmert durch ein Unbehagen, und wurden durch die Beängstigung der Bewegungslosigkeit zu einer namenlosen Marter. Ein Tier zerfraß ihm nicht mehr allein die Füße, der ganze Körper wurde ihm wie von der rastlosen Bewegung eines Mühlsteines zermalmt. Es gab hierfür kein Erleichterungsmittel, sie konnte nichts anderes tun, als bei ihm bleiben, sich seinen Launen anbequemen, immer bereit sein, ihm eine andere Lage zu geben, ohne daß er sich dadurch auch nur eine einzige Stunde Ruhe verschaffte. Das Schlimmste aber war, daß das Leiden ihn ungerecht und roh machte; er sprach zu ihr mit einer Wut wie zu einer ungeschickten Magd.
    »Halt! Du bist ebenso dämlich wie Veronika ... Seit wann darf man mir die Finger in den Leib bohren? Du hast Finger wie ein Gendarm ... Laß mich in Frieden, zum Donnerwetter! ... Du sollst mich nicht wieder berühren!«
    Ohne zu antworten, verdoppelte sie mit einer Ergebung, die nichts erschütterte, ihre Sanftmut. Merkte sie, daß er zu erregt war, so verbarg sie sich einen Augenblick hinter den Vorhängen, damit er sich etwas beruhige, wenn er sie nicht mehr sah. Oft weinte sie dort heimlich, nicht über die Roheiten des armen Mannes, sondern der unerträglichen Marter wegen, die ihn so widerspenstig machte. Sie hörte ihn zwischen seinen Klagelauten mit halblauter Stimme zu sich selbst sprechen.
    »Sie ist fortgegangen, die Herzlose ... Ich kann krepieren, nur Minouche würde mir die Augen zudrücken. Ist es denn, bei Gott, möglich, einen Christenmenschen so zu verlassen! ... Ich wette, sie ist in der Küche und trinkt eine Tasse Fleischbrühe.«
    Nachdem er hierauf einen Augenblick mit sich gekämpft, murrte er lauter und sagte endlich:
    »Bist du da, Pauline? ... Komm doch und hilf mir ein wenig; es ist rein unmöglich so, liegen zu bleiben ... Versuchen wir es mal mit der linken Seite, willst du?«
    Dann wieder überkam ihm die Rührung, er bat sie wegen seiner Unliebenswürdigkeiten um Verzeihung. Manchmal wollte er Mathieu um sich haben, um weniger allein zu sein, in dem Wahn, die Gegenwart des Hundes sei ihm gut. Aber er hatte besonders in Minouche eine treue Genossin, denn diese schwärmte für die geschlossenen Krankenzimmer und verbrachte jetzt die Tage auf einem Lehnstuhle seinem Bette gegenüber. Die zu heftigen Schmerzensschreie schienen sie indessen zu überraschen. Wenn er aufschrie, setzte sie sich auf und sah ihn mit ihren runden Augen leiden, in denen das unwillige Erstaunen einer klugen Person aufleuchtete, deren Gemütsruhe man stört. Warum machte er all diesen unangenehmen, überflüssigen Lärm?
    Sooft Pauline den Doktor Cazenove begleitete, beschwor sie ihn:
    »Können Sie ihm denn keine Morphiumeinspritzung machen? Mir bricht das Herz, wenn ich ihn jammern höre.«
    Der Arzt weigerte sich. Wozu? Der Anfall werde noch heftiger wiederkehren. Da das Salizyl das Leiden verschlimmert zu haben schien, wollte er keinen weiteren Versuch mit einer neuen Arznei machen. Dagegen sprach er von einer Milchkur, sobald die schlimmste Zeit des Anfalls vorüber sein würde. Bis dahin strengste Diät, urintreibende Getränke und weiter nichts.
    »Im Grunde«, wiederholte er, »ist er ein Schlemmer, der die guten Bissen zu teuer bezahlt. Er hat wieder Wild gegessen, ich habe die Federn gesehen. Desto schlimmer am Ende! Ich habe ihn lange genug im voraus gewarnt,

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