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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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sie nicht in Ihrer Kommode herumwühlen konnte.«
    Pauline hörte zu, sie fand kein Wort, um Veronika unterbrechen zu können. Oft hatte der Gedanke, daß die Familie auf ihre Kosten lebte, sie ausplünderte, ihr die glücklichsten Tage ihres Lebens verdorben. Aber sie war stets vor dem Nachdenken über diese Dinge zurückgeschreckt; sie zog vor, in Blindheit weiter zu leben und sich selbst des Geizes anzuklagen. Diesmal sollte sie wohl oder übel alles erfahren, die Roheit der Vertraulichkeiten schien die Tatsachen noch zu verschlimmern. Bei jedem Satze erwachte ihr Gedächtnis, sie baute sich alte Geschichten wieder zusammen, deren genauer Sinn ihr damals entgangen war; sie folgte Tag für Tag den Machenschaften der Frau Chanteau um ihr Vermögen herum. Sie hatte sich langsam auf einen Stuhl sinken lassen, als sei sie plötzlich von großer Müdigkeit befallen. Ein schmerzlicher Zug furchte ihre Lippen.
    »Du übertreibst«, murmelte sie.
    »Wie! Ich übertreibe!« fuhr Veronika heftig fort. »Es ist nicht so sehr die Geschichte mit dem Gelde, die mich außer Fassung bringt. Sehen Sie, nie werde ich ihr verzeihen, daß sie Ihnen Herrn Lazare wieder genommen hat, nachdem sie Ihnen den Sohn gegeben hatte... Ja, so ist es und nicht anders. Sie waren nicht mehr reich genug, und man brauchte für ihn eine Erbin. Was sagen Sie dazu? Man plündert Sie erst aus, und dann verachtet man Sie, weil Sie nicht mehr reich genug sind... Nein, Fräulein, ich will nicht mehr schweigen. Man schneidet nicht den Leuten das Herz in Stücke, nachdem man ihnen schon die Taschen geleert hat. Da Sie Ihren Vetter liebten und er Ihnen alles in Liebenswürdigkeiten hätte vergelten müssen, so ist es von jener Seite einfach eine gemeine Schandtat, Sie auch in dieser Weise bestohlen zu haben... Und sie hat alles das getan, ich habe es gesehen. Ja, ja, jeden Abend köderte sie die Kleine und entflammte sie durch eine Menge unsauberer Geschichten für den jungen Mann. So wahr diese Lampe uns hier Licht spendet, so wahr hat sie beide einander in die Arme gestoßen. Was! Schließlich hätte sie ihnen auch noch das Licht gehalten, nur um die Heirat unvermeidlich zu machen. Ihr Verdienst ist es gewiß nicht, daß sie nicht bis zum äußersten gegangen sind. Verteidigen Sie sie doch jetzt noch, nun sie Sie unter ihren Füßen zertreten hat und schuld daran ist, daß sie nachts wie eine Magdalena weinen. Denn ich höre Sie sehr gut von meiner Stube aus. Ich werde von all dem Kummer, von all den Ungerechtigkeiten noch krank werden!«
    »Schweige, ich flehe dich an,« stammelte Pauline, deren Mut zu Ende war, »du tust mir zu weh.«
    Schwere Tränen rollten über ihre Wangen. Sie fühlte, daß dieses Mädchen nicht log, ihre zerstörte Zuneigung blutete in ihr. Jeder heraufbeschworene Auftritt nahm eine lebendige Wahrhaftigkeit an: Lazare hielt die ermattende Luise fest umschlungen, während Frau Chanteau an der Tür wachte. Mein Gott, was hatte sie verbrochen, daß ein jeder sie betrog, während sie allen treu war?
    »Ich flehe dich an, schweige, es erstickt mich.«
    Als Veronika sie so erschüttert sah, begnügte sie sich, dumpf hinzuzufügen:
    »Ihretwegen will ich nichts weiter sagen, nicht um deretwillen... Schon seit heute früh ist sie dabei, einen Haufen Scheußlichkeiten auf Ihre Rechnung auszuspeien. Ich verliere schließlich auch die Geduld, mein Blut kocht, wenn ich höre, wie man das Gute, was Sie ihr getan, in das Böse verkehrt... Auf Ehrenwort, sie behauptet, Sie hätten sie zugrunde gerichtet und ihr den Sohn getötet. Gehen Sie und horchen Sie an der Tür, wenn Sie mir nicht glauben wollen.«
    Als Pauline in ein heftiges Schluchzen ausbrach, nahm Veronika den Kopf des jungen Mädchens zwischen die beiden Hände und küßte sie auf das Haar, indem sie wiederholte:
    »Nein, nein, Fräulein, ich sage nichts mehr. Sie mußten es aber erfahren. Es wurde nachgerade zu dumm, sich von anderen derart verschlingen zu lassen... Ich sage nichts mehr, beruhigen Sie sich.«
    Es trat Schweigen ein. Die Magd löschte die im Herde gebliebene Glut aus. Aber sie konnte es nicht unterlassen, noch zu brummen:
    »Ich weiß, warum sie anschwillt: die Bosheit ist ihr in die Knie gefahren.«
    Pauline, die starr auf eine der Fliesen der Küche blickte, den Geist wirr und schwer vor Kummer, erhob die Augen. Warum sagte Veronika dies? War die Geschwulst wiedergekommen? Sie mußte verlegen ihrem Versprechen zu schweigen untreu werden. Sie erlaubte sich wohl ein

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