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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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sagen soll, so hat es eben nicht Großes zu besagen.«
    Ein Gespräch hielt sie um die Schüssel zurück, in welche die Köchin ihre Kartoffeln schnitt. Auch Pauline war jetzt ruhiger. Am Morgen war sie zur Tante gegangen, um sie zu küssen, und hatte sie besser aussehend gefunden: mit solchem Gesicht konnte man nicht sterben. Aber Lazare wandte das Rezept wieder zwischen seinen fieberhaften Fingern hin und her. Das Wort Fingerhutblume flammte hervor: seine Mutter war verloren.
    »Ich gehe wieder hinauf«, sagte er schließlich. An der Tür zögerte er und fragte seine Base:
    »Willst du auch einen Augenblick kommen?«
    Sie zögerte ebenfalls ein wenig.
    »Ich fürchte, ihr beschwerlich zu fallen«, flüsterte sie.
    Ein verlegenes Schweigen trat ein, und er ging, ohne ein Wort hinzuzufügen, allein nach oben.
    Um seinen Vater nicht zu beunruhigen, erschien Lazare – zwar sehr bleich – zum Frühstück. Von Zeit zu Zeit rief ein Klingeln Veronika herbei, die mit Tellern voll Suppe hin und her ging, welche die Kranke kaum berührte; und als sie wieder herunterkam, erzählte sie Pauline, daß der arme junge Mann oben den Kopf verliere. Es war ein Jammer, ihn vom Fieber geschüttelt, mit unsicheren Händen und entstelltem Gesicht bei seiner Mutter zu sehen, als fürchte er jeden Augenblick, daß sie in seinen Armen verende. Gegen drei Uhr war die Magd gerade wieder hinaufgegangen, als sie auch schon über das Treppengeländer gebeugt, das junge Mädchen herbeirief. Sobald diese auf dem Absätze des ersten Stockes stand, sagte sie zu ihr:
    »Sie sollten hereinkommen, um ihm zur Hand zu gehen. Desto schlimmer, wenn sie dieses ärgert. Sie will, daß er sie umwendet; Sie sollen aber sehen, wie er zittert, ohne daß er sie auch nur zu berühren wagt... Und daher verbietet sie mir, ihr zu nahe zu kommen.«
    Pauline trat ein. Aufrecht sitzend, an drei Kopfkissen gelehnt, machte Frau Chanteau den Eindruck, als hüte sie nur aus reiner Trägheit das Bett, wenn nicht ein kurzes und beschwerliches Atmen ihre Schultern gehoben hätte. Lazare stand vor ihr und stammelte:
    »Ich soll dich also auf die rechte Seite legen?«
    »Ja, schiebe mich ein wenig... Ach, mein armes Kind, was für Mühe hast du, mich zu verstehen!«
    Das junge Mädchen hatte sie bereits sanft gefaßt und drehte sie um.
    »Laß mich machen, ich bin das vom Onkel her gewohnt. Ist es gut so?«
    Frau Chanteau schalt aufgeregt, daß man sie stoße. Sie konnte keine Bewegung vornehmen, ohne daß sie nicht sogleich zu ersticken vermeinte, und auch jetzt saß sie einige Augenblicke atemlos, mit erdfarbenem Gesicht da. Lazare war hinter die Bettvorhänge getreten, um seine Verzweiflung zu verbergen. Pauline rieb die Beine der Kranken mit Fingerhutblumentinktur ein. Er wandte den Kopf ab, jedoch ein Bedürfnis, sie zu betrachten, führte seine Blicke wieder zu diesen ungeheuerlichen Beinen, diesen unbeweglichen Paketen fahlen Fleisches hin, deren Anblick ihn vollends vor Angst zu würgen drohte. Als seine Base seine Niedergeschlagenheit bemerkte, hielt sie es für klüger, ihn fortzuschicken. Sie näherte sich ihm und da Frau Chanteau schon von dieser bloßen Veränderung ihrer Lage sehr ermattet, dem Einschlafen nahe war, sagte sie:
    »Du tätest besser, hinunter zu gehen.«
    Er kämpfte ein wenig, Tränen verdunkelten seinen Blick, Aber er mußte nachgeben und stieg beschämt hinunter, indem er stammelte:
    »Mein Gott! Ich kann nicht! Ich kann nicht!«
    Als die Kranke sich wieder ermunterte, bemerkte sie die. Abwesenheit ihres Sohnes anfangs gar nicht. Ein Erstaunen schien über sie zu kommen, sie sammelte sich wieder in dem selbstsüchtigen Verlangen zu leben. Nur Paulinens Gegenwart schien sie zu beunruhigen, obgleich diese sich fast verbarg und, ohne zu sprechen oder sich zu regen, abseits saß. Als ihre Tante den Kopf vorstreckte, meinte Pauline sie dennoch mit einem Worte benachrichtigen zu sollen.
    »Ich bin es, rege dich nicht auf. Lazare ist nur nach Verchemont gegangen, wo er den Tischler sprechen will.«
    »Gut, gut«, murmelte Frau Chanteau.
    »Nicht wahr, du bist nicht so leidend, daß er seinen Geschäften nicht nachgehen könnte?«
    »Ganz sicher nicht.«
    Von diesem Augenblicke an sprach sie nur noch selten von ihrem Sohne, trotz der Anbetung, die sie noch Tags vorher für ihn gezeigt. Er verschwand für den Rest ihres Lebens, nachdem er Ursache und Zweck ihres ganzen Daseinsgewesen. Die in ihr beginnende Gehirnerweichung ließ ihr nur noch die

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