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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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jede Woche auf dem Rückwege von Bonneville tat, schien er höchst erstaunt zu sein, Frau Chanteau im Bette zu finden. Was fehlte denn der teuren Frau? Ja, er scherzte sogar: das ganze Haus sei zu verzärtelt, man werde es demnächst in ein Lazarett umwandeln. Als er aber die Kranke untersucht, beklopft, behorcht hatte, wurde er ernster; er mußte sogar seine ganze große Beherrschung aufbieten, um nicht ein wenig Bestürzung durchblicken zu lassen.
    Übrigens hatte Frau Chanteau nicht die geringste Ahnung von der Bedenklichkeit ihres Zustandes.
    »Ich hoffe, Doktor, Sie werden mich von dieser Geschichte kurieren«, sagte sie mit heiterer Stimme. »Sehen Sie, ich habe nur eine Furcht, daß diese Geschwulst mich erstickt, wenn sie immer höher steigt.« »Seien Sie beruhigt, das steigt nicht so weiter«, entgegnete er ebenfalls lachend. »Außerdem werden wir ihr schon Stillstand zu gebieten wissen.«
    Lazare, der nach beendeter Untersuchung wieder in das Zimmer getreten war, hörte ihm zitternd zu; es drängte ihn, den Arzt beiseite zu nehmen, um ihn auszufragen und endlich etwas Gewisses zu erfahren.
    »Teure Frau,« fuhr der Doktor fort, »ängstigen Sie sich nicht; wenn ich wiederkomme, wollen wir weiter plaudern... Auf Wiedersehen, ich werde meine Verordnungen unten aufschreiben.«
    Unten verhinderte Pauline sie in das Speisezimmer zu treten, da man Chanteau stets von einer einfachen Steifheit sprach. Sie hatte Tintenfaß und Feder bereits auf dem Küchentisch zurechtgestellt. Angesichts ihrer ängstlichen Ungeduld bekannte der Doktor, daß es schlimm stehe; aber er machte lange, wirre Sätze und vermied es, einen bestimmten Schluß zu ziehen.
    »Sie ist also verloren«, schrie Lazare mit einer Art Gereiztheit. »Nicht wahr, es ist das Herz?«
    Pauline warf dem Arzt einen flehenden Blick zu, den dieser verstand.
    »Oh, das Herz,« sagte er, »das bezweifle ich... Schließlich, sollte sie sich auch nicht wieder erholen, so kann es vielleicht bei vorsichtiger Behandlung noch lange dauern.«
    Der junge Mann hatte darauf wieder sein Achselzucken, diese zornige Gebärde eines Kindes zur Antwort, das sich nichts vormachen läßt. Er fuhr fort:
    »Sie warnten mich nicht, Doktor, und haben sie doch erst kürzlich behandelt... Diese schauderhaften Dinge kommen niemals auf einen Schlag. Sie hatten also nichts gesehen?« »Ja, ja,« murmelte Doktor Cazenove, »ich hatte wohl einige kleine Anzeichen bemerkt.«
    Als Lazare ein verächtliches Lachen ausstieß, fügte er hinzu:
    »Hören Sie, mein Lieber, ich halte mich nicht für dümmer als ein anderer, und trotzdem begegnet es mir nicht das erstemal, vorausgesehen zu haben und wie dumm vor einer Krankheit zu stehen... Sie sind anzüglich. Sie verlangen, daß man alles wissen soll, während es schon eine recht hübsche Leistung ist, wenn man die ersten Zeilen dieser verwickelten Maschine des menschlichen Gerippes herauszubuchstabieren versteht.«
    Er ärgerte sich und schrieb seine Verordnung mit hastiger Feder nieder, die das dünne Papier durchlöcherte. Der Marinearzt kam in diesen jähen Bewegungen seines großen Körpers wieder zum Vorschein. Aber als er sich wieder aufrichtete, nahm sein altes, vom Seewinde gegerbtes Gesicht einen milderen Ausdruck an, als er Lazare und Pauline mit gesenktem Kopfe wie verzweifelt vor sich sah.
    »Meine armen Kinder,« begann er, »wir werden unser Möglichstes tun, um sie aus der Geschichte zu ziehen... Ihr wißt, daß ich nicht den großen Mann vor euch spielen will. Offen gesprochen; ich kann nichts sagen. Dennoch scheint mir, daß keine augenblickliche Gefahr vorhanden ist.«
    Er ging, nachdem er sich überzeugt, daß Lazare Fingerhutblumentinktur vorrätig hatte. Das Rezept verschrieb einfach Einreibungen des Beines mit dieser Tinktur und einige Tropfen davon in einem Glase Zuckerwasser. Das genügte für den Augenblick; am nächsten Tage wollte er Pillen mitbringen, vielleicht sich auch zu einem Aderlasse entschließen. Pauline hatte ihn bis zu seinem Wagen begleitet, um die volle Wahrheit zu erfahren; die volle Wahrheit aber war, daß er sich nicht zu erklären wagte. Als sie in die Küche zurückkehrte, traf sie Lazare beim Nachlesen des Rezeptes an. Das Wort Fingerhutblume allein hatte ihn von neuem erbleichen lassen.
    »Regen Sie sich doch nicht so sehr auf«, sagte Veronika, die sich an das Kartoffelschälen gemacht hatte, um dort bleiben und zuhören zu können. »Die Ärzte sind lauter Mörder. Wenn er nicht weiß, was er

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