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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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Urteil über ihre Frau, aber sie gehorchte ihr. Es war so, die beiden Beine waren seit der Nacht ergriffen, man sollte es aber nicht Herrn Lazare erzählen. Während die Magd diese Einzelheiten berichtete, verwandelte sich Paulinens Gesicht; eine Unruhe verjagte die düstere Niedergeschlagenheit. Trotz allem, was sie soeben gehört hatte, erschrak sie über ein Merkmal, das sie als gefährlich kannte.
    »Aber man kann sie nicht so liegen lassen«, sagte Pauline. »Sie ist in Gefahr.«
    »Ach ja, in Gefahr!« schrie Veronika roh. »So sieht sie gerade nicht aus, sie denkt auf alle Fälle nicht an so etwas, denn sie ist zu sehr damit beschäftigt, auf die andern zu geifern und sich wie ein Pascha in ihrem Bette breit zu machen... Übrigens schläft sie jetzt, man muß bis morgen warten. Morgen ist gerade der Tag, an dem der Doktor ohnehin nach Bonneville kommt.«
    Am nächsten Tage war es unmöglich, Lazare den Zustand seiner Mutter länger zu verschweigen. Die ganze Nacht hatte Pauline gelauscht, von Stunde zu Stunde erwachend, glaubte sie durch den Fußboden hindurch beständig ein Stöhnen zu vernehmen. Gegen Morgen war sie dann in einen so festen Schlaf gesunken, daß es schon neun Uhr schlug, als das Geräusch einer zufallenden Tür sie plötzlich auffahren ließ. Als sie nach hastigem Ankleiden hinunterging, um Neues zu hören, begegnete sie gerade auf dem Absätze des ersten Stockwerkes Lazare, der von der Kranken kam. Die Geschwulst ergriff bereits den Leib, Veronika hatte sich entschlossen, den jungen Mann davon in Kenntnis zu setzen.
    »Nun?« fragte Pauline.
    Mit entstelltem Gesicht antwortete Lazare zuerst nicht. Mit einer ihm eigentümlichen Bewegung nahm er sein Kinn zwischen die krampfhaften Finger. Als er sprach, waren seine ersten, kaum gestammelten Worte: »Sie ist verloren.«
    Er ging mit einem Gesicht wie ein Geistesabwesender in sein Zimmer hinauf. Pauline folgte ihm. Als sie sich in dem großen Gemach des zweiten Stockwerkes befanden, das sie nicht mehr betreten, seitdem sie ihn mit Luise dort überrascht, schloß sie die Tür und versuchte ihm Mut zuzusprechen.
    »Mut! Du weißt nicht einmal, was ihr fehlt... Wir wollen wenigstens erst den Arzt abwarten... Sie ist sehr kräftig, es ist immer Hoffnung vorhanden.«
    Aber er blieb dabei, eine plötzliche Überzeugung war ihm durch das Herz geschossen.
    »Sie ist verloren, sie ist verloren!«
    Es war ein unvorhergesehener Schlag, der ihn niederschmetterte. Als er aufgestanden, hatte er aus reiner Gewohnheit das Meer betrachtet, dann war er aus Langeweile gähnend in Klagen über die blödsinnige Leere seines Daseins ausgebrochen. Als sich aber seine Mutter bis zu den Knien entblößte, hatte ihn der Anblick dieser armen, von der Wassergeschwulst erfaßten Beine, die ganz farblos wie bereits abgestorbene Stämme waren, mit Rührung und Entsetzen erfüllt. Wie? Von einer Minute zur andern trat so das Unglück ein? Auch jetzt wagte er nicht, am ganzen Körper zitternd, auf einer Ecke des großen Tisches sitzend, den Namen der von ihm erkannten Krankheit laut auszusprechen. Der schreckliche Gedanke, daß ihn und die Seinen eines Tages eine Herzkrankheit packen könne, hatte ihn stets geängstigt, nicht einmal die zweijährigen medizinischen Studien waren imstande gewesen, ihn von der Gleichheit jeglichen Übels vor dem Tode zu überzeugen. Im Herzen, an der Quelle des Lebens selbst getroffen zu werden, galt in seinen Augen als ein schrecklicher, unerbittlicher Tod. Und diesen Tod sollte seine Mutter nun wirklich sterben, und nach ihr würde auch er gewiß daran zugrunde gehen.
    »Warum verzweifelst du so?« fuhr Pauline fort. »Es gibt Wassersüchtige, die noch sehr lange leben. Erinnerst du dich der Frau Simonnot? Sie ist schließlich an einer Lungenentzündung gestorben.«
    Aber er schüttelte den Kopf, er war kein Kind, um sich auf solche Weise täuschen zu lassen. Seine baumelnden Füße schlugen ins Leere, das Zittern seines Körpers hörte nicht auf, während er die Augen halsstarrig auf das Fenster gerichtet hielt. Da küßte sie ihn zum ersten Male nach dem Bruche wieder auf die Stirn wie einst. Sie befanden sich wieder Seite an Seite in jenem großen Gemach, in dem sie aufgewachsen waren, alle ihre Entfremdung schwand angesichts des ihnen drohenden großen Kummers. Sie trocknete sich die Augen; er konnte nicht weinen und wiederholte mechanisch:
    »Sie ist verloren, sie ist verloren.«
    Als gegen elf Uhr Doktor Cazenove kam, wie er es gewöhnlich

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