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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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wurde.
    Anfangs hatte Lazare vor sich selbst Verachtung gefühlt. Die moralische Überlegenheit der so aufrichtig und gerecht denkenden Pauline erfüllte ihn mit Scham und Zorn. Warum hatte er nicht den Mut, ihr frei zu bekennen und sie um Verzeihung zu bitten? Er hätte ihr das Abenteuer erzählen können von der Überrumpelung des Fleisches, dem Dufte des gefallsüchtigen Weibes, der ihn berauschte; und sie hatte einen zu offenen Verstand, um ihn nicht zu verstehen. Aber eine unüberwindliche Verlegenheit hinderte ihn daran, er fürchtete, sich mit einer Erklärung, bei derer vielleicht wie ein Kind stottern werde, noch mehr in den Augen des Mädchens herabzusetzen. Sodann schlummerte in der Tiefe dieses Zögerns auch die Furcht vor einer neuen Lüge; denn Luise umschwebte ihn beständig, er sah sie besonders des Nachts mit dem brennenden Bedauern, sie nicht besessen zu haben, als er sie halb ohnmächtig unter seinen Lippen gehalten. Ohne sein Wollen führten ihn seine langen Spaziergänge immer nach der Richtung von Arromanches. Eines Abends gelangte er sogar bis an das kleine Haus der Tante Leonie, er strich um die Mauer, und entfloh eilig bei dein Geräusch eines Fensterflügels, außer sich über die schlechte Handlung, die zu begehen er im Begriffe stand. Dieses Bewußtsein der Unwürdigkeit vermehrte seine Verlegenheit: er verurteilte sich, ohne indessen sein Verlangen töten zu können; mit jeder Stunde erneuerte sich der Kampf; nie hatte er derart unter seinem Unglück gelitten. Ihm blieb nur gerade noch genug Ehrenhaftigkeit und Kraft übrig, um Pauline aus dem Wege zu gehen und ihr die letzte Niedrigkeit falscher Schwüre zu ersparen. Vielleicht liebte er sie noch, aber das herausfordernde Bild der andern war ohne Unterlaß da, löschte die Vergangenheit aus und versperrte die Zukunft.
    Pauline wartete ihrerseits, daß er sich entschuldige. In der ersten Empörung hatte sie sich geschworen, nichts zu verzeihen. In der Folge aber litt sie heimlich darunter, daß sie ihm nichts zu vergeben hatte. Warum schwieg er mit fieberndem Gesicht? warum war er immer auswärts, als fürchte er, allein mit ihr zu bleiben? Sie war bereit, ihn anzuhören und, wenn er nur ein klein wenig Reue zeigte, alles zu vergessen. Die erhoffte Auseinandersetzung erfolgte nicht, ihr Kopf arbeitete, sie ging von einer Mutmaßung zur andern über, während der Stolz sie schweigsam bleiben ließ. Je mehr die peinlichen Tage langsam dahinflossen, desto mehr bezwang sie sich selbst zu besiegen und nahm ihre frühere Tätigkeit wieder auf. Aber diese mutige Ruhe verbarg eine fortwährende Folter, sie schluchzte des Abends laut in ihrem Zimmer und erstickte ihre Klagen auf ihrem Kopfkissen. Niemand sprach mehr von der Heirat, obgleich jeder sichtlich daran dachte. Der Herbst nahte, was würde geschehen? Jeder vermied es, sich zu erklären, man schien die Entscheidung auf später zu verschieben, wenn man wieder davon sprechen könne.
    Dies war im Leben der Frau Chanteau eine Zeit, in der sie die Ruhe ganz verlor. Sie war jederzeit verbissen gewesen, aber die dumpfe Tätigkeit, die in ihr die guten Gefühle langsam zerbröckelte, Schien bei dem letzten Abschnitte der Zerstörung angelangt zu sein; nie zuvor war sie so aus dem Gleichgewicht gebracht, von solch einem nervösen Fieber verzehrt erschienen. Die Notwendigkeit, sich Zwang antun zu müssen, verbitterte sie noch mehr. Sie litt am Gelde, es war wie eine nach und nach angewachsene Geldwut, die ihr Vernunft und Herz raubte. Immer wieder kehrte sich ihr Unmut gegen Pauline; sie klagte diese wegen der Abreise Luisens wie wegen eines Diebstahls an, der ihren Sohn auf das Trockene gesetzt habe. Es war eine blutende Wunde, die sich durchaus nicht schließen wollte; die geringsten Tatsachen wuchsen ungeheuerlich an, sie vergaß keine Bewegung, sie hörte noch den Schrei: »Fort!« und bildete sich ein, daß man auch sie fortjage, die Freude und das Glück der Familie auf die Straße werfe. Wenn sie sich nachts voller Unbehagen in einem Halbschlafe hin und her warf, bedauerte sie, daß der Tod die Familie nicht von dieser unglückseligen Pauline befreit habe. Pläne, verwickelte Berechnungen drängten sich in ihr durcheinander, ohne daß sie ein vernünftiges Mittel zur Kaltstellung des jungen Mädchens fand. Zur gleichen Zeit verdoppelte eine Art Rückwirkung die Zärtlichkeit für ihren Sohn: sie betete ihn an, wie sie ihn vielleicht nicht in der Wiege angebetet hatte, als er ihr in ihren

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