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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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gehoben hatte, schrie Veronika vom Vorflur mit lauter Stimme hinauf:
    »Sie können herunterkommen, Fräulein: es ist niemand mehr hier.«
    Das Haus schien leer zu sein, es war wieder in seine dumpfe Stille verfallen; nur die Klagen des Kranken waren lauter als zuvor. Als Pauline die letzte Stufe hinabstieg, fand sie sich Lazare gegenüber, der gerade vom Hofe kam. Er blieb eine Sekunde stehen und wollte sich ohne Zweifel entschuldigen, um Verzeihung bitten. Aber Tränen erstickten ihn, und ohne daß er ein Wort hätte hervorbringen können, ging er eilig in sein Zimmer zurück. Sie war mit trockenen Augen und ernstem Gesicht in die Stube ihres Oheims eingetreten.
    Chanteau streckte auf dem Bette noch immer seinen steifen Arm aus und bog den Kopf weit über die Kopfkissen hinab. Er wagte nicht mehr, sich zu bewegen, er mußte selbst die Abwesenheit des jungen Mädchens nicht bemerkt haben, da er die Augen zusammenkniff und den Mund weit öffnete, um aus Leibeskräften schreien zu können. Kein Geräusch des Hauses drang zu ihm, seine einzige Beschäftigung war nur, Klagelaute von sich zu geben, bis ihm der Atem ausging. Nach und nach dehnte er sie in seiner Verzweiflung so in das Ungeheuerliche, daß er selbst Minouche damit belästigte, von der man am Morgen wieder vier Junge in das Wasser geworfen hatte; sie hatte aber diesen Zwischenfall bereits vergessen, denn sie schnurrte jetzt behaglich auf einem Lehnstuhle.
    Als Pauline ihren Platz wieder einnahm, heulte der Oheim so laut, daß die Katze mit gespitzten Ohren aufsprang. Sie sah ihn steif an mit der Entrüstung einer verständigen Person, deren Ruhe man zu stören wagt. Wenn man einen schon nicht mehr in Frieden schnurren ließ, wurde es geradezu unerträglich! Sie verschwand, den Schwanz in die Höhe streckend.

Sechstes Kapitel
    Als Frau Chanteau wenige Minuten vor dem Essen am Abend heimkehrte, war keine Rede mehr von Luise. Sie rief einfach Veronika, um sich ihre Stiefelchen ausziehen zu lassen. Der linke Fuß tat ihr weh.
    »Alle Wetter! das ist nicht erstaunlich,« murmelte die Magd, »er ist angeschwollen.«
    In der Tat hatte sich die Naht des Leders auf dem weichen, weißen Fleische rot abgedrückt. Lazare, der herunterkam, betrachtete die Sache.
    »Du bist zuviel gelaufen«, sagte er.
    Sie war kaum durch Arromanches gegangen. Außerdem litt sie an diesem Tage stark an Beklemmungen, die schon seit Monaten zunahmen und sie zu ersticken drohten. Sie gab jetzt den Stiefelchen die Schuld.
    »Diese Schuhmacher können sich nicht dazu entschließen, den Spann möglichst hoch zu machen... Sobald ich die Schuhe zu fest gebunden habe, ist es eine wahre Qual.«
    Da sie in den Pantoffeln keine Schmerzen mehr litt, beunruhigte man sich nicht weiter. Am nächsten Tage war die Geschwulst bis zum Knöchel vorgeschritten, verschwand aber in der folgenden Nacht ganz.
    Eine Woche verstrich. Von der ersten Mahlzeit an, die Pauline mit Mutter und Sohn am Abend der Katastrophe zusammengeführt, hatte man sich bemüht, die Alltagsmiene wieder aufzustecken. Es wurde keine Anspielung gemacht, es schien, als gebe es nichts Neues zwischen ihnen. Das Familienleben floß maschinenmäßig dahin und brachte die nämlichen freundschaftlichen Gewohnheiten mit sich, das übliche »Guten Tag« und »Gute Nacht«, die zu bestimmter Zeit gedankenlos gewechselten Küsse. Es war trotzdem eine Erleichterung für alle, als man Chanteau an den Eßtisch rollen konnte. Diesmal blieben seine Knie steif, es war ihm unmöglich, sich aufzustellen. Aber er freute sich nicht minder dieser verhältnismäßigen Ruhe, in der die Schmerzen ihn freiließen; und zwar in dem Grade, daß ihn die Freuden und Bekümmernisse der Seinen gar nicht mehr berührten, er widmete sich ganz der Selbstsucht seines Wohlbefindens. Als Frau Chanteau es gewagt hatte, ihm von der plötzlichen Abreise Luisens zu erzählen, hatte er sie angefleht, ihn mit solchen traurigen Dingen zu verschonen. Seitdem Pauline nicht mehr an das Zimmer des Oheims gefesselt war, hatte sie sich zu beschäftigen bemüht, ohne jedoch ihre innere Qual völlig verbergen zu können. Besonders die Abende wurden ihr peinlich, das Unbehagen durchbrach den Zwang des gewohnten Friedens. Es war wohl das Dasein von ehemals mit seinen täglich sich wiederholenden Ereignissen, aber aus gewissen nervösen Bewegungen, selbst aus dem Schweigen fühlten alle die innere Zerrissenheit, die Wunde heraus, von der sie nicht mehr sprachen, und die dennoch immer größer

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