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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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leibliche Sorge um ihre Gesundheit. Sie nahm die Pflege der Nichte an, ohne daß sie sich von dieser Unterschiebung Rechenschaft zu geben schien, einzig damit beschäftigt, ihr mit den Augen zu folgen; ein wachsendes Mißtrauen angesichts ihres fortwährenden Gehens und Kommens vor ihrem Bette nahm sie außerordentlich in Anspruch.
    Währenddessen war Lazare in die Küche hinabgegangen, fassungslos, mit schlotternden Beinen. Das ganze Haus flößte ihm Furcht ein: er konnte nicht in seinem Zimmer bleiben, dessen Leere ihn erdrückte; er wagte nicht durch das Speisezimmer zu gehen, wo der Anblick seines friedlich die Zeitung lesenden Vaters ihm mit Schluchzen die Kehle zuschnürte. So kehrte er immer wieder in die Küche zurück, den einzig warmen und lebendigen Winkel, weil er dort Veronika antraf, die wie in den guten Tagen der Ruhe mit ihren Kasserolen hantierte. Als sie ihn auf den Strohsessel neben dem Herde sich niederlassen sah, den er bereits als seinen selbstverständlichen Platz betrachtete, sagte sie ihm offen, was sie von seinem geringen Mute dachte.
    »Sie sind wahrhaftig keine große Hilfe, Herr Lazare. Das arme Fräulein nimmt auch das wieder auf ihren Rücken... Man möchte fast glauben, daß hier noch nie jemand krank gewesen ist. Und dabei ist es geradezu stark, daß Sie Ihre Base sehr gut gepflegt haben, als diese an ihrem Halsleiden fast gestorben wäre... Sie können nicht das Gegenteil behaupten. Sie sind vierzehn Tage dort oben geblieben, um sie wie ein Kind zu drehen und zu wenden.«
    Lazare hörte ihr voller Staunen zu. Er hatte an diesen Widerspruch nicht gedacht; warum diese verschiedenen und unlogischen Arten des Empfindens?
    »Das ist wahr,« wiederholte er, »das ist wahr.«
    »Sie ließen niemanden hinein,« fuhr die Magd fort, »und das Fräulein war noch viel schrecklicher anzusehen als die Mama, so sehr litt es. Ich kam immer ganz außer Fassung herunter und hatte kein Verlangen, auch nur einen Bissen Brot zu essen. Heute aber sieh einer an, wendet sich Ihnen das Herz im Leibe um, wenn Sie Ihre Mutter nur im Bette sehen. Sie würden ihr nicht einmal die Tasse mit dem Aufguß bringen können. Ihre Mutter mag sein, wie sie ist, aber sie ist immer Ihre Mutter.«
    Er vernahm ihre Stimme gar nicht mehr und starrte vor sich in das Leere. Schließlich murmelte er:
    »Was willst du? Ich kann nicht... Vielleicht weil es Mama ist, aber ich kann nicht. Wenn ich sie mit diesen Beinen sehe und mir sage, daß sie verloren ist, platzt mir etwas im Magen, und ich würde wie ein Tier aufbrüllen, wenn ich nicht aus dem Zimmer flüchtete.«
    Seinen Körper befiel ein neues Erzittern. Er hatte ein heruntergefallenes Küchenmesser vom Boden aufgenommen und betrachtete es, ohne es zu sehen, mit überfließenden Augen. Es herrschte tiefes Schweigen. Veronika tauchte ihr Gesicht in den Suppentopf, um die Bewegung zu verbergen, die auch sie zu ersticken drohte. Endlich sprach sie von neuem:
    »Hören Sie, Herr Lazare, Sie sollten ein wenig an den Strand gehen. Es belästigt mich, Sie fortwährend hier vor den Füßen zu haben... Nehmen Sie doch Mathieu mit. Er wird einem auch so beschwerlich; er weiß nicht, was er mit seinem Körper anfangen soll, und ich habe die größte Mühe von der Welt, ihn zu verhindern, daß er zu der Frau hinaufklettert.«
    Am nächsten Tage hielt Doktor Cazenove noch immer mit einer bestimmten Äußerung zurück. Eine plötzliche Katastrophe war möglich, auch konnte die Kranke, falls die Wassergeschwulst abnahm, sich für längere oder kürzere Zeit wieder erholen. Er stand von dem Aderlasse ab und begnügte sich, ihr die mitgebrachten Pillen zu verschreiben, ohne die Anwendung von Fingerhutblumentinktur einzustellen. Sein bekümmertes, dumpf erregtes Wesen gestand ein, daß er bei solchem Falle wenig an diese Mittel glaubte, wo sämtliche Organe nacheinander außer Gange kommen, die Wissenschaft des Arztes also am Ende ist. Im übrigen behauptete er, daß Frau Chanteau nicht leide. In der Tat beklagte sich die Kranke über keinen lebhaften Schmerz: nur ihre Beine waren schwer wie Blei, das Erstickungsgefühl war noch lebhafter geworden, sowie sie sich bewegte; wenn sie aber unbeweglich auf den Rücken ausgestreckt lag, hatte sie noch immer ihre starke Stimme, ihre lebhaften Augen, die sie selbst über ihren Zustand täuschten. Da sie so munter war, gab keiner von ihrer Umgebung mit Ausnahme des Sohnes die Hoffnung auf. Als der Arzt wieder in seinen Wagen stieg, sagte er ihnen,

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