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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola
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sie, die Kälte ihrer Beine schien von Minute zu Minute zu wachsen und ihr auch das Herz gefrieren zu lassen. Bei jeder Mahlzeit, zu der Pauline hinunterging, mußte sie ihren Onkel belügen. An jenem Abende täuschte sie sogar Lazare, indem sie ihm versicherte, daß die Geschwulst abnehme.
    In der Nacht aber machte das Übel erschreckliche Fortschritte. Als das junge Mädchen und die Magd die Kranke bei hellem Tage wiedersahen, waren sie von dem verstörten Ausdrucke ihrer Augen ergriffen. Das Gesicht war unverändert, auch hatte sie noch immer keinerlei Fieber, nur der Verstand schien angegriffen, ein fixer Gedanke vollendete die Zerstörung dieses Gehirns. Das war der letzte Abschnitt, in dem das menschliche Wesen nach und nach von einer einzigen, in Raserei umschlagenden Leidenschaft verzehrt wurde.
    Der Morgen vor der Ankunft Doktor Cazenoves war entsetzlich. Frau Chanteau wollte nicht einmal, daß ihre Nichte sich ihr nähere.
    »Ich bitte dich, laß dich pflegen«, wiederholte Pauline. »Ich will dich einen Augenblick hochheben, weil du schlecht gebettet bist.«
    Da schlug die Sterbende um sich, als wolle man sie ersticken.
    »Nein, nein, du hast Scheren, du bohrst sie mir absichtlich in das Fleisch... Ich fühle sie sehr gut, ich blute am ganzen Körper.«
    Mit zerrissenem Herzen mußte das junge Mädchen sich fernhalten; sie taumelte vor Müdigkeit und Kummer und erlag vor ohnmächtiger Güte. Sollte die Kranke die geringsten Dienstleistungen hinnehmen, so mußte sie Roheiten und Anschuldigungen ertragen, die ihr Tränen erpreßten. Manchmal sank sie überwunden auf einen Stuhl und wußte nicht mehr, wie sie sich diese, jetzt in Wut verwandelte Zuneigung zurückerobern sollte. Dann kam ihr die Ergebung wieder, sie sann weiter auf Mittel und Wege und verdoppelte ihre Sanftmut. An jenem Tage führte ihre Beharrlichkeit; eine Krise herbei, vor der sie noch lange nachher erzitterte. »Tante,« sagte sie und hielt den Löffel bereit, »es ist die Zeit für deine Arznei. Du weißt, der Arzt hat dir pünktlich einzunehmen verordnet.«
    Frau Chanteau wollte die Flasche sehen und roch schließlich daran.
    »Ist es die nämliche von gestern?«
    »Ja, Tante.«
    »Ich will sie nicht.«
    Aber auf das zärtliche Drängen der Nichte hin nahm die Kranke noch einen Löffel davon. Ihr Antlitz drückte tiefen Argwohn aus. Kaum hatte sie den Löffel voll im Munde, so spie sie ihn auch bereits heftig auf die Erde, und von einem Hustenanfalle gerüttelt stammelte sie, zwischen einem Schluchzen und dem andern:
    »Das ist Vitriol, das brennt!«
    Der Abscheu und das Entsetzen vor Pauline seit dem Tage, an dem sie ihr das erste Zwanzigfrankenstück nahm, langsam gewachsen, machte sich endlich in der letzten Zersetzung ihres Leidens in einem Schwall toller Worte Luft, denen das junge Mädchen ergriffen lauschte, ohne ein Wort der Verteidigung zu finden.
    »Du glaubst, ich schmecke es nicht! Du tust Kupfer und Vitriol in alles. Das erstickt mich. Mir fehlt nichts, und ich wäre schon heute aufgestanden, wenn du mir nicht gestern Abend Grünspan in die Suppe gerührt hättest... Ja, du hast jetzt genug von mir, du möchtest mich gern begraben. Aber ich bin kräftig, ich werde dich beerdigen.«
    Ihre Worte verwirrten sich immer mehr, ihr ging der Atem aus, und ihre Lippen wurden so schwarz, daß eine augenblickliche Katastrophe zu befürchten war.
    »Tante, Tante,« murmelte Pauline, »wenn du wüßtest, wie du dir schadest.«
    »Das wünschest du ja gerade, nicht wahr? Geh, ich kenne dich, du hast dir deinen Plan seit langem gemacht; du bist einzig und allein hierhergekommen, uns zu ermorden und auszuplündern. Dein Gedanke ist, das Haus an dich zu bringen, und ich störe dich... Elendes Geschöpf, ich hätte dich am ersten Tage erwürgen sollen... Ich hasse dich!«
    Pauline weinte leise, unbeweglich. Ein einziges Wort nur kam, wie eine unwillkürliche Verteidigung, über ihre Lippen.
    »Mein Gott!... Mein Gott!«
    Aber Frau Chanteau war erschöpft, und eine kindische Furcht folgte diesen heftigen Angriffen. Sie war auf das Kopfkissen zurückgesunken.
    »Komm mir nicht zu nahe, berühre mich nicht... Ich rufe um Hilfe, wenn du mich anfaßt... Nein, nein, ich will nicht trinken. Das ist Gift.«
    Sie zog die Bettdecke mit ihren gekrampften Händen hinauf und verbarg sich hinter den Kopfkissen, wobei sie den Kopf hin- und herrollte und den Mund fest schloß. Als die bestürzte Nichte sich ihr nähern wollte, um sie zu beruhigen, brach sie

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