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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola , Alfred Ruhemann
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ihres eigenen Fiebers. Diese tiefe, bebende Stille, diese Totenstille wurde auf die Dauer zur hauptsächlichen Ursache ihres Schreckens. Was ging vor? Warum hatte man sie hinausgeschickt? Sie hätten Geschrei, einen Kampf, etwas Lebendes, was sich noch über ihren Köpfen wehrte und tummelte, vorgezogen. Die Minuten verstrichen, und das Haus versank immer mehr in das Nichts. Endlich öffnete sich die Tür. Doktor Cazenove trat ein.
    »Nun?« fragte Lazare, der sich schließlich Pauline gegenüber gesetzt hatte.
    Der Doktor antwortete nicht sogleich. Das rauchige Licht der Lampe, dieser trübe Schein der langen Nachtwachen, beleuchtete schlecht sein gegerbtes Gesicht, auf dem die starken Erregungen nur die Runzeln erbleichen ließen. Als er jedoch sprach, bekundete der gebrochene Ton seiner Stimme den Kampf, der sich in seinem Innern abspielte.
    »Ich habe noch nichts getan«, antwortete er. »Ich wollte nichts tun, bevor ich mich mit euch beraten habe.«
    Mit einer mechanischen Bewegung strich er sich mit den Fingern über die Stirn, als wollte er dort ein Hindernis verscheuchen, einen Knoten, den er nicht lösen konnte.
    »Aber es kommt uns nicht zu, eine Entscheidung zu treffen, Doktor«, sagte Pauline. »Wir legen sie in Ihre Hände.«
    Er schüttelte mit dem Kopfe. Eine ungelegen kommende Erinnerung wollte ihn nicht verlassen, er erinnerte sich verschiedener Negerinnen, die er in den Kolonien entbunden, besonders eines großen Mädchens, bei dem sich das Kind auch so zuerst mit der Schulter gezeigt hatte, und das dabei geblieben war, während er es noch von einem Pack Fleisch und Knochen befreite. Für die Chirurgen der Marine gab es keine andere Möglichkeit, darin Erfahrungen zu sammeln, als wenn sie in fernen Ländern beim Ausüben vom Hospitaldienst gelegentlich Frauen ausweideten. Seitdem er sich nach Arromanches zurückgezogen, hatte er wohl auch den Beruf des Geburtshelfers ausgeübt und die Geschicklichkeit der Gewohnheit erlangt; aber dieser schwierige Fall, der ihm in diesem befreundeten Hause entgegentrat, warf ihn wieder in seine ganze frühere Zaghaftigkeit zurück. Er zitterte wie ein Anfänger, auch um seine alten Hände besorgt, denen die jugendliche Kraft fehlte.
    »Ich muß euch wohl oder übel alles sagen«, begann er. »Mutter und Kind scheinen mir verloren... Vielleicht wird es noch Zeit sein, das eine oder die andere zu retten.«
    Lazare und Pauline hatten sich, von dem nämlichen Schauder erstarrt, erhoben. Chanteau, von dem Geräusch der Stimmen aufgeweckt, öffnete die noch trüben Augen und hörte mit Entsetzen dem zu, was da vor ihm verhandelt wurde.
    »Wen soll ich zu retten versuchen?« fragte er mit dem gleichen Erzittern wie die armen Leute, denen er diese Frage stellte. »Das Kind oder die Mutter?«
    »Wen? Mein Gott?« rief Lazare. »Weiß ich es? Kann ich es wissen?«
    Tränen erstickten ihn von neuem, während seine Base dieser fürchterlichen Wahl gegenüber stumm blieb.
    »Versuche ich das Kind zu wenden,« fuhr der Doktor fort, laut seine Unsicherheit äußernd, »so wird es sicher als Brei herauskommen. Und ich fürchte die Mutter zu ermüden, die bereits zu lange leidet. Der Kaiserschnitt andrerseits würde das Leben des Kleinen sichern; aber der Zustand der armen Frau ist nicht so verzweifelt hoffnungslos, daß ich mich berechtigt fühle, sie zu opfern. Ich bitte euch, euch selbst darüber auszusprechen.« Das Schluchzen verhinderte Lazare zu antworten. Er hatte sein Taschentuch vorgenommen und zerknüllte es krampfhaft in dem Bemühen, wieder ein wenig zur Vernunft zu kommen. Chanteau sah noch immer verblüfft zu. Nur Pauline vermochte zu sagen:
    »Warum sind Sie heruntergekommen?... Es ist schlecht, uns so zu quälen; Sie sind der einzige, der wissen und handeln kann.«
    Frau Bouland kam gerade hinzu und verkündete, daß der Zustand sich verschlimmere.
    »Hat man sich entschieden?... Sie wird zusehends schwächer.«
    Doktor Cazenove umarmte in einer seiner jähen, die Leute außer Fassung bringenden Aufwallungen Lazare und sagte zu ihm, ihn duzend:
    »Höre, ich will versuchen, sie alle beide zu retten. Wenn sie dabei bleiben, werde ich mehr Kummer als du selbst empfinden; denn ich werde es für meine Schuld halten.«
    Hastig, mit der Lebhaftigkeit eines entschlossenen Mannes, besprach er die Anwendung des Chloroforms. Er hatte das Notwendige mitgebracht, aber gewisse Anzeichen ließen ihn eine Blutung befürchten, was ihn dieses Mittel förmlich widerraten ließ. Das

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