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Die Lebensfreude

Die Lebensfreude

Titel: Die Lebensfreude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emil Zola , Alfred Ruhemann
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Aussetzen und die Mattigkeit des Pulses beunruhigten ihn. Er widerstand daher dem Drängen der Familie, die, krank von diesem Leiden, das sie bereits seit vierundzwanzig Stunden teilte, ihn bat, Chloroform anzuwenden; er wurde zu dieser Weigerung noch durch die Haltung der Hebamme ermutigt, die voll Widerwillen und Geringschätzung die Schultern zuckte.
    »Ich entbinde wohl an zweihundert Frauen im Jahr«, murmelte sie. »Haben diese es nötig, um sich aus der Geschichte zu ziehen?... Sie leiden, alle Welt leidet!«
    »Kommt hinauf, Kinder,« begann der Doktor von neuem, »ich werde Eurer bedürfen... Und dann, ist es mir auch lieber, euch bei mir zu wissen.«
    Alle verließen das Eßzimmer, als Chanteau endlich zu sprechen begann. Er rief seinen Sohn.
    »Komm, umarme mich... Ach, die arme Luise! Sind solche Geschichten nicht schrecklich in einem Augenblick, wo man sie nicht erwartet. Wenn es wenigstens Tag würde!... Benachrichtige mich, wenn es zu Ende ist.«
    Er blieb von neuem allein in dem Gemach zurück. Die Lampe kohlte, er schloß die Lider; von dem matten Schein des Lichtes geblendet, übermannte ihn wieder der Schlaf. Er kämpfte jedoch einige Minuten und ließ seine Blicke über das Geschirr auf dem Tische und das Durcheinander der Stühle gleiten, auf denen noch die Mundtücher hingeworfen lagen. Aber die Luft war zu schwer, das Schweigen zu erdrückend. Er unterlag, seine Lider schlössen sich wieder, den Lippen entströmten kurze, regelmäßige Atemzüge inmitten der trübseligen Unordnung dieses am vorhergehenden Abend unterbrochenen Mahles.
    Oben riet Doktor Cazenove, ein großes Feuer in dem Nebengemache, dem einstigen Zimmer der Frau Chanteau, anzuzünden: man könne es nach der Entbindung nötig haben. Veronika, die bei Luise während der Abwesenheit der Hebamme gewacht, ging sofort, seinen Befehl auszuführen. Dann wurden alle Maßregeln getroffen, man legte feines Leinenzeug vor den Kamin, man brachte eine zweite Wanne, einen Kessel und Schweineschmalz auf einem Teller. Der Doktor glaubte die Gebärende benachrichtigen zu müssen.
    »Mein liebes Kind,« sagte er, »beunruhigen Sie sich nicht, es ist aber unbedingt notwendig, daß ich eingreife... Ihr Leben ist uns allen teuer, und wenn auch der Kleine in Gefahr schwebt, so können wir Sie doch nicht länger so lassen... Sie erlaubten mir zu handeln, nicht wahr?« Luise schien nicht mehr zu hören. Durch die Anstrengungen, die wider ihren Willen fortdauerten, steif geworden, den Kopf nach links auf das Kissen gerollt: so lag sie da; aus ihrem offenen Munde kam ein dumpfer, fortwährender Klageton hervor, der einem Röcheln glich. Als sie die Wimpern aufschlug, starrte sie verwirrt die Zimmerdecke an, als sei sie an einem unbekannten Orte erwacht.
    »Sie willigen ein?« wiederholte der Doktor.
    Da stammelte sie:
    »Töten Sie mich, töten Sie mich sofort!«
    »Machen Sie schnell, ich flehe Sie an«, murmelte Pauline. »Wir nehmen jede Verantwortung auf uns.«
    Er zögerte dennoch, indem er zu Lazare sagte:
    »Ich verbürge mich für sie, wenn keine Blutung eintritt. Aber das Kind scheint mir verloren. Unter zehn tötet man neun in solchen Fällen, denn stets kommen Verletzungen, Brüche, manchmal ein vollständiges Zerquetschen vor.«
    »Vorwärts, vorwärts, Doktor!« antwortete der Vater mit einer verzweifelten Gebärde.
    Das Gurtbett wurde nicht für haltbar genug erklärt. Man brachte die junge Frau wieder auf das große Bett, nachdem man ein Brett zwischen die Matratzen geschoben hatte. Mit dem Kopfe nach der Wand hin, an einen Berg von Kissen gelehnt, ruhten die Lenden auf dem Rande selbst; und man spreizte die Schenkel auseinander und legte die Füße auf die Lehnen zweier kleinen Sessel.
    »So ist es ganz gut«, sagte der Arzt, diese Vorbereitungen prüfend. »Wir werden gut arbeiten können, es ist sehr bequem so. Es wäre nur rätlich, sie zu halten, im Falle sie um sich schlüge.«
    Luise war nicht mehr. Sie überließ sich wie eine Sache. Ihre weibliche Scham, ihr Widerwille, sich in ihren Wehen und ihrer Blöße sehen zu lassen, war von dem Leiden verscheucht, endlich verschwunden. Ohne die Kraft, auch nur einen Finger in die Höhe zu heben, hatte sie kein Bewußtsein von ihrer Blöße, noch von den sie berührenden Leuten. Sie blieb so liegen, bis an die Brust entblößt, den Bauch frei in der Luft, die Beine auseinandergespreizt, ohne auch nur zu zittern, und breitete ihre blutende und weit geöffnete Mutterschaft zur Schau

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