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Die Legende

Die Legende

Titel: Die Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gemmell
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Zwillingsmächte von Wachstum und Bosheit. Ich glaube, daß bei seltenen Gelegenheiten jede dieser Mächte einen Menschen auswählt und auf unterschiedliche Weise vernichtet.«
    »Und diese Mächte haben dich berührt, Bowman?« fragte Hogun sanft.
    »Vielleicht. Denk doch mal an die letzte Zeit zurück – du wirst Beispiele finden.«
    »Das brauche ich nicht. Ich weiß, worauf du hinauswillst«, sagte Hogun.
    »Was weißt du?« fragte der Bogenschütze und drehte sich um, so daß er dem dunkelgekleideten Offizier ins Gesicht sehen konnte. Hogun lächelte mild, obwohl er bemerkte, daß sich Bowmans Finger um den Griff seines Dolches gekrallt hatten.
    »Ich weiß, daß du ein Mann bist, dessen Leben von einer geheimen Tragödie zerbrochen wurde: die Frau gestorben, der Vater getötet … so etwas. Vielleicht sogar eine finstere Tat, die du selbst begangen hast und nicht vergessen kannst. Aber was auch immer es gewesen sein mag – daß du dich mit solchem Schmerz daran erinnerst, bedeutet, daß du aus Charakter gehandelt hast. Laß es hinter dir, Mann. Wer von uns kann schon die Vergangenheit ändern?«
    »Ich wünschte, ich könnte es dir sagen«, erklärte Bowman. »Aber ich kann nicht. Es tut mir leid, ich bin heute abend keine gute Gesellschaft. Geh ruhig weiter. Ich bleibe noch ein Weilchen hier.«
    Hogun hätte dem anderen gern die Hand auf die Schulter gelegt und die Stimmung mit einer geistreichen Bemerkung vertrieben, wie es Bowman so oft für ihn getan hatte. Aber er konnte es nicht. Es gab Zeiten, in denen ein grimmiger Krieger gebraucht, ja, sogar geliebt wurde, aber dies gehörte nicht dazu, und er verwünschte sich und ging ohne ein Wort.
    Über eine Stunde blieb Bowman an der Brüstung stehen, starrte ins Tal hinaus und lauschte auf die fernen Lieder der Nadirfrauen, die aus dem Lager heraufdrangen.
    »Hast du Kummer?« fragte eine Stimme.
    Bowman fuhr herum und sah sich Rek gegenüber. Der junge Graf trug wieder die Kleider, in denen er angekommen war – schenkellange Rehlederstiefel, eine Tunika mit hohem, goldbesticktem Kragen und eine schaffellgefütterte Weste. An seiner Seite hing ein Langschwert.
    »Ich bin nur müde«, sagte Bowman.
    »Ich auch. Ist meine Narbe noch sehr auffällig?«
    Bowman betrachtete die zackige rote Linie, die von der Braue zum Kinn verlief. »Du hast Glück, daß du kein Auge verloren hast, Rek«, meinte er.
    »Schlechter Nadirstahl«, sagte Rek. »Ich habe die Klinge perfekt abgewehrt, aber das verdammte Schwert ist zersprungen und mir ins Gesicht gefahren. Bei allen Göttern, Mann, hast du eine Ahnung, wie lange ich mein Gesicht geschützt habe?«
    »Zu spät, um sich jetzt noch darum zu sorgen«, grinste Bowman.
    »Manche Menschen werden häßlich geboren«, erklärte Rek. »Es ist nicht ihre Schuld, und ich habe es nie jemandem vorgeworfen, wenn er häßlich war. Aber andere – und dazu darf ich mich auch zählen – werden mit angenehmen Zügen geboren. Das ist ein Geschenk, mit dem man nicht leichtfertig umgehen darf.«
    »Ich nehme an, du hast den Übeltäter dafür büßen lassen?«
    »Natürlich! Und weißt du, ich glaube, er lächelte, als ich ihn erschlug. Aber er war auch ein häßlicher Mann. Ich meine, richtig häßlich. Das ist nicht gerecht.«
    »Das Leben kann so ungerecht sein«, stimmte Bowman ihm zu. »Aber du mußt es von der guten Seite sehen, Graf. Weißt du, im Gegensatz zu mir warst du nie außergewöhnlich gutaussehend. Nur ganz nett anzuschauen. Die Brauen etwas zu dicht, der Mund eine Spur zu groß. Wenn du jetzt mit dem geradezu märchenhaft guten Aussehen gesegnet gewesen wärst wie ich und meinesgleichen, dann hättest du wirklich allen Grund, dich zu grämen.«
    »Da ist was Wahres dran«, meinte Rek. »Du bist wahrlich gesegnet. Wahrscheinlich wollte die Natur damit ausgleichen, daß du etwas klein geraten bist.«
    »Klein? Ich bin fast so groß wie du.«
    »Tja, aber was für ein großes Wort ist ›fast‹. Kann ein Mensch fast am Leben sein? Fast im Recht sein? In der Frage der Größe, mein Freund, bewegen wir uns nicht in feinen Abstufungen. Ich bin größer, du bist kleiner. Aber ich will gerne zugeben, daß es keinen besser aussehenden kleinen Mann in dieser Festung gibt als dich.«
    »Die Frauen waren immer der Meinung, daß ich genau die richtige Größe habe«, erklärte Bowman. »Wenn ich mit ihnen tanze, kann ich ihnen wenigstens Liebesworte ins Ohr flüstern. Mit deinen langen Stelzen würden ihre Köpfe ja in meiner

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