Die Legende der Dunkelheit: Thriller
den Drachenmotiven, Phönixgestalten und Wolkenmustern war ein Symbol für Harmonie, für Ausgewogenheit, für Leben und Tod.
Und dann sah er sie, am anderen Ende des Raums, neben der Seitentür. KC schaute ihn ebenfalls an, doch sie rührte sich nicht von der Stelle. Lächelnd ging Michael auf sie zu. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, und er konnte die Erschöpfung in ihren Augen sehen. Er schaute sich nach Annie um, doch er konnte sie nicht entdecken, als er zu KC trat.
»Du hättest nicht herkommen sollen«, sagte KC und sank in seine Arme.
Michael presste KC an sich, unfähig, Worte zu finden. Er hielt sie fest umschlungen, atmete ihren Duft ein, genoss das Glück dieses Augenblicks, von dem er schon gefürchtet hatte, er würde ihn nie mehr erleben.
»Es tut mir so leid«, sagte KC, schmiegte sich an ihn, sog ihn in sich auf und schloss die Augen, als die Strahlen der Morgensonne in den Tempel fielen.
Michael beugte sich leicht zurück, umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen und legte seine Stirn an ihre. »Bist du okay?«, fragte er sie.
KC sah ihm in die Augen, nickte … Doch Michael wusste, dass sie log. Er hatte geahnt, dass sie krank war, dass man sie infiziert hatte. Und jetzt, da er sah, in was für einem Zustand sie war, bestätigten sich seine schlimmsten Befürchtungen.
»Hast du die Karte mitgebracht?«, flüsterte KC Michael ins Ohr.
»Sie ist in meiner Jackentasche«, flüsterte Michael zurück. »Ich habe allerdings nicht die Absicht, sie aus der Hand zu geben.«
»Sie hat Angst um dich, Michael«, sagte Annie.
Ruckartig drehte Michael sich um, sah Annie etwa drei Meter hinter ihnen stehen, und beim Anblick ihrer kurzen schwarzen Haare und ihrem Lächeln war ihm einen Moment lang, als würde sein Herz zu Eis erstarren. Er hatte sie bisher immer nur flüchtig gesehen, zuerst in New York, im Fahrstuhl und auf der Straße, wo sie einen kaltblütigen Mord begangen hatte, und dann ein paar Stunden später auf dem iPad, als er sich die Bilder angeschaut hatte, die zeigten, wie sie und KC sich am Flughafen unterhielten.
»Was hast du ihr angetan?«, verlangte Michael zu wissen.
»Sie hat Angst, dass ich dich umbringe«, erwiderte Annie. »Hast du das Buch mitgebracht?«
»Nein«, sagte Michael. »Es ist alt und viel zu empfindlich, und überhaupt – denkst du etwa, ich bin so blöd?«
»Denkst du etwa, ich würde hier ohne das Buch weggehen?«, gab Annie zurück.
Michael senkte den Blick und sah die Waffe in Annies Hand, die sie unter ihrer Jacke versteckt hatte.
»Du würdest sie erschießen?«, fragte Michael.
»Eigentlich mag ich sie, sehr sogar. Ich würde sie allerdings ohne zu zögern umbringen, um mein eigenes Leben zu retten. Sie und ich sind uns da sehr ähnlich. Das ist witzig, Michael, du hast für uns beide tiefe Gefühle, aber sie sind ganz gegensätzlich. Mit dieser Waffe hier habe ich es aber nicht auf sie abgesehen. Sondern auf dich. Ich habe ihr gesagt, dass ich dich töten würde, wenn du nicht tust, was ich verlange. Aber wenn du darauf bestehst, darfst du auch gern dabei zusehen, wie ich stattdessen sie umbringe.«
Michael starrte Annie an.
»Würdest du mir also die Karte geben? Bitte?«
»Warum holst du sie dir nicht einfach von Lucas?«, fragte Michael. »Der hat eine Kopie.«
»Ich will sie von dir«, gab Annie zurück.
»Wirst du jetzt abtrünnig?«, fragte Michael. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das besonders gut aufnehmen würde.«
»Es schert mich ziemlich wenig, was du oder er denkt.«
»Ich brauche den Kompass, Annie«, sagte Michael.
»Und ich brauche die Karte«, entgegnete Annie.
Michael schaute KC an, sah die Erschöpfung in ihrem Gesicht, wandte den Blick dann langsam wieder Annie zu. »Sie wird sterben.«
»Pass auf, ich lasse dir die Wahl: Behalt die Karte, und ich bringe dich auf der Stelle um, oder geh das Risiko ein und gib mir die Karte, und euch beiden bleiben noch ein paar Tage, damit ihr euch voneinander verabschieden könnt.«
»Wo ist der Kompass?«
»Aus dem gleichen Grund, aus dem du das Buch nicht mitgebracht hast, habe ich den Kompass nicht dabei. Große Köpfe denken gleich. Nicht wahr, Michael? Sieh es endlich ein: Ich habe dich genauso in der Hand wie KC und wie deine Freunde, die in diesem Moment in meiner Hotelsuite nach dem Kompass suchen.«
Busch und Jon nahmen die Hotelsuite des Crown Plaza Beijing im wahrsten Sinne des Wortes auseinander, rissen Schubladen auf und Schranktüren, drehten Matratzen
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