Die Legende der Dunkelheit: Thriller
die Androhung von Gewalt.«
»Regt sich da etwa gerade Ihr Gewissen?«
»Wenn man jemanden dazu bringen muss, sich unangenehmen oder schwierigen Aufgaben zu stellen, ist es am besten, es mit sanftem Zwang anzugehen. Mit Angst, die Sie immer so gern und oft einsetzen, klappt das Ganze nur gewisse Zeit, denn wenn man die Angst zu lange gären lässt, verstopft sie den Leuten das Hirn. Haben Sie St. Pierre?«
»Ich hatte ihn von dem Moment an, als er KC mit Ihnen gesehen hat«, antwortete Lucas. »Trotzdem muss ich mich darauf verlassen können, dass Sie die Sache hinbekommen.«
»Das hängt alles von den Fähigkeiten dieser Frau ab.« Annie blickte durch den Gang auf KC, die in ihrem zurückgeklappten Sitz lag und fest schlief. »Kriegt sie die Sache hin?«
»Das dürfen Sie mir glauben.«
»Sie sieht nicht so aus.«
»Sie auch nicht«, erwiderte Lucas mit eisiger Stimme.
»Wenn sie es nicht schafft oder im letzten Moment irgendwelche faulen Tricks auf Lager hat, muss ich um mein Leben fürchten, nicht Sie.«
»Wenn ihr zwei die Sache nicht hinbekommt, dann müssen sehr, sehr viele Menschen um ihr Leben fürchten, nicht nur Sie.« Lucas stockte. »Und hören Sie mir gut zu: Für den Fall, dass Sie versagen, haben Sie ganz klare Befehle.«
»Ich kenne meine Befehle?«
»Sind Sie sich da sicher?«
Annie schwieg einen Moment und schaute dann abermals auf die schlafende KC. »Natürlich.«
KC wachte irgendwo über dem Atlantik auf. Sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, wo sie war, dann streckte sie sich, um die Schmerzen und die letzte Müdigkeit zu vertreiben.
»Hi«, sagte Annie und schaute von der dicken Aktenmappe auf, die sie gerade wälzte. KC lächelte und versuchte, richtig wach zu werden und sich zu konzentrieren. »Hi.«
»Ich hab Ihnen das Abendessen hingestellt«, sagte Annie, legte ihre Akte beiseite und hob den Deckel von einem warmen Teller, der auf dem Tablett zwischen ihnen stand.
KC öffnete eine Flasche Mineralwasser und trank sie halb aus, um dem dehydrierenden Effekt beim Fliegen entgegenzuwirken. »Vielen Dank. Das duftet köstlich.«
KC griff nach Messer und Gabel, probierte und stellte fest, dass dieses Hühnchen hier wesentlich besser schmeckte als alles, was man ihr auf irgendeinem normalen Linienflug serviert hätte.
»Wann werden Sie erwartet?«, fragte Annie.
»Erwartet?«
»Fahren Sie nicht zu Ihrer Schwester?«
»Nein. Doch.« KC schüttelte den Kopf. »Die Reise war eine ganz spontane Entscheidung. Wenn wir da sind, fahre ich erst einmal in mein Haus auf dem Land und rufe dann von dort aus meine Schwester an. Ehrlich gesagt war ich mir bis zum Start überhaupt nicht sicher, ob ich mich nicht noch mal umentscheiden und doch in New York bleiben sollte.«
»Sie sind also nicht unbedingt auf dem Weg zu jemandem, sondern sind eher vor etwas weggelaufen?«, erkundigte Annie sich in mitfühlendem Ton.
KC schürzte die Lippen. »Mein Leben ist im Moment ein bisschen durcheinander.«
»Ich habe gedacht, falls Sie keinen Zeitdruck haben, könnte ich Sie vielleicht etwas fragen.«
»Mich was fragen?«
»Wie wäre es, wenn Sie mich auf einem kleinen Abstecher begleiten? An einen ganz besonderen Ort.«
KC sah Annie an, unsicher, was sie von diesem Vorschlag halten sollte.
»Schauen Sie, ich weiß, dass wir uns erst vor fünf Stunden kennengelernt haben«, sagte Annie, »aber ich glaube wirklich, dass wir Spaß haben könnten. Ich habe nicht viele Freunde. Eigentlich gar keine«, gab sie ohne jeglichen Anflug von Selbstmitleid zu. »Aber ich habe natürlich vollstes Verständnis dafür, wenn Sie irgendwohin müssen und für so was keine Zeit haben.«
»Erzählen Sie mir doch erst einmal, worum es geht«, entgegnete KC und hatte immer mehr das Gefühl, dass sie sich vor Annie in Acht nehmen musste.
»Es dauert nur einen Tag. Und was ist schon ein Tag, wenn Ihre Schwester gar nicht weiß, dass Sie kommen? Stellen Sie sich vor, zwei Mädels machen einen Ausflug. Sie machen mir ganz den Eindruck, als könnten Sie ein bisschen Spaß und eine Abwechslung brauchen.«
»Und wo kriegt man diese Abwechslung?« Einerseits wollte KC unbedingt heim in ihr Haus, um herauszufinden, wie es sich anfühlte, von Michael weg zu sein, andererseits wusste sie nicht, wie es war, wenn zwei Mädels einen Ausflug machten. Sie hatte noch nie eine enge Freundin gehabt. Es gab nur drei Menschen in ihrem Leben, denen sie vertraute: Cynthia, Simon und Michael. Und vielleicht bekam sie ja durch eine
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