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Die Legende der Dunkelheit: Thriller

Die Legende der Dunkelheit: Thriller

Titel: Die Legende der Dunkelheit: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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in sich auf, lernte über die Gepflogenheiten der Menschen, studierte das Leben aus ihrer Nippon-Perspektive und verstand, warum sie in China eingefallen waren, warum sie während des Zweiten Weltkriegs eine so expansive Politik vertreten hatten und worauf ihre finanzielle Stärke in den Achtzigerjahren beruhte. Er lernte und wurde ein Meister in Kenjutsu , der Schwertkunst, in Ninjutsu , der Kunst des Erduldens, und in Aikidō. Er beherrschte ihre Sprache und ihre Kultur, kannte ihre Sitten und Gebräuche. Er sagte seiner Tante nie, wo er war, schickte ihr nur zwischendurch immer wieder einmal einen Brief, in dem er ihr mitteilte, dass er noch lebte, und zwar allein und dass er eines Tages zu ihr zurückkehren würde.
    Vier Jahre blieb er in Japan. Dann, am 12. November, stieg er in ein Flugzeug nach Los Angeles.
    Es dauerte vier Wochen, bis Jon Tanaka ausfindig gemacht hatte. Er war verblüfft, dass sein Vater immer noch lebte. Er hatte den Mann ausgekundschaftet und alles über ihn in Erfahrung gebracht: Er wusste von seiner Vorstrafe wegen der Kriegsverbrechen, von seiner Verwicklung in die Kin no yuri und in die Sache mit Yamashitas Gold wie auch von seinem Strafregister in Japan, wo er nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis ein Dieb, ein Gangmitglied und ein Schläger gewesen war und man ihn noch dreimal verurteilt und schließlich noch einmal für zehn Jahre ins Gefängnis gesteckt hatte. Jon fand heraus, dass er in den Sechzigerjahren in die Vereinigten Staaten emigriert war, und in der Folge war er zeitweise untergetaucht. Nach dem Mord an Jons Großmutter hatte er noch sechs Jahre an Janes Highschool gearbeitet, und nie hatte jemand gewusst, was für ein Ungeheuer sich zwischen den Kindern auf dem Schulgelände herumtrieb. Da er die letzten paar Jahre von Sozialhilfe lebte, hauste Tanaka jetzt in einer Wohnung im dritten Stock in einem heruntergekommenen Viertel von Los Angeles.
    Jon stand in der Drei-Zimmer-Wohnung und blickte auf den kleinen Schrein in der Ecke und auf einen Tisch mit lauter Kerzen darauf. An der Wand hing die kaiserlich-japanische Kriegsflagge, deren rote aufgehende Sonne mit den sechzehn Sonnenstrahlen für die Chinesen ebenso anstößig und beleidigend war wie das Hakenkreuz für die ganze Welt. Jons Blick fiel auf die beiden Gegenstände, die rechts von dem Schrein auf einem Holzregal lagen, das an der Wand hing. Er nahm das Katana und die dazugehörige Scheide herunter. Das Schwert vereinigte prunkvolle Schönheit mit unvergleichlicher Handwerkskunst. Mit so etwas hatte er noch nie trainiert, mehr noch, so etwas hatte er in ganz Japan noch nicht gesehen. Als er es genauer in Augenschein nahm, erkannte er, dass es sich um ein antikes Stück handelte. Die Klinge war Tausende Male gehärtet worden, von einem Meister seines Fachs, vor Hunderten von Jahren.
    Lautlos betrat er das Schlafzimmer, sah eine schlafende Gestalt im Bett liegen. Tanaka war fast siebzig, ein klapperiges altes Männchen. Er sah viel älter aus, als er war, und neben seinem Bett stand ein Sauerstoffgerät, aus dem ein Schlauch ragte, der unter seiner Nase festgezurrt war. Der gleichmäßige Rhythmus seiner schweren Atemzüge war das einzige Geräusch in der dunklen Nacht.
    Jon betrachtete den Mann genauer, diese Kreatur, die seine Mutter vergewaltigt, seine Großmutter ermordet und all diese vielen Jahre seinen Großvater und seine Tante geistig gefoltert hatte. Der Hass, den Jon auf sich selbst empfand, wurde immer größer. Es erfüllte ihn mit Scham, dass das Blut dieses Mannes in seinen Adern floss, dass er die gleiche DNA hatte. Dass er das Resultat der Folterung einer Unschuldigen war, der Folterung seiner Mutter, trieb ihn zur Raserei.
    Er zog Tanaka den Atemschlauch aus der Nase. Er weigerte sich, jemals wieder seinen Vater in ihm zu sehen. Er sah, wie sich die Brust des Mannes qualvoll hob und senkte, sah, wie er anfing, nach Luft zu schnappen.
    Und dann riss Tanaka die Augen auf, starrte Jon an, der sich vor ihm aufgebaut hatte mit seinem antiken Katana in der Hand.
    »Wer sind Sie?«, keuchte Tanaka.
    »Ich bin Ihr Sohn«, erwiderte Jon auf Japanisch und hielt dem Mann das Katana an die Kehle. Dann sprach er in Mandarin weiter und sagte: »Der Inbegriff von allem, was du hasst.« Und dann auf Englisch: »Ein Kind Amerikas, Chinas, meiner Mutter, der du die Seele gestohlen hast, als sie noch ein Kind war.«
    Tanaka blickte auf zu Jon, und ein verwirrter Ausdruck legte sich auf seine Züge, als ihm

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