Die Legende der Dunkelheit: Thriller
Ahnung.«
Noch einmal schaute Jenna in die Holzkiste. »Das, wonach Sie suchen, war nicht hier drin. Stimmt’s? Vielleicht ist es in einer der anderen Kästen.« Jenna wies mit der Hand auf die Hunderte von Kisten, die auf den Regalen standen.
»Nein«, erklärte Annie. »Das hier ist die richtige Kiste.«
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu verraten, was Sie zu finden hofften?«, fragte Jenna.
»Ja, das würde mir etwas ausmachen«, gab Annie zur Antwort.
»Überhaupt nicht«, widersprach KC und bedachte Annie mit einem zornigen Blick. »Wir wollten nur sichergehen, dass gewisses Eigentum der US-Regierung nicht in diese Holzkiste hineingeraten ist. Eine Reihe von Akten aus dem Zweiten Weltkrieg mit Informationen über Kriegsverbrecher.«
»Nach fünfundsechzig Jahren?«
»Bei der Regierung geht es leider nicht nur drunter und drüber, sondern es geht auch langsam zu«, erwiderte KC mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie hasste sich, weil es ihr so leichtfiel, zu lügen.
»Nun«, meinte Jenna und legte die Sachen wieder in die Kiste zurück. Als Letztes nahm sie die rote Lackschatulle in die Hand. »Es tut mir leid …«
»Schon in Ordnung«, sagte KC. »Wir müssen nur sichergehen, dass hier keine Fehler gemacht wurden. Trotzdem danke.«
Jenna legte die rote Schatulle zurück in die Kiste, zog einen Hammer aus der Schublade, klappte den Deckel wieder richtig darauf und schlug die Nägel wieder ein.
Kapitel 20
1950
J acob und Isaac Lucas wurden am 3. Januar 1950 als Söhne von Admiral Howard und Lily Lucas auf dem Flottenstützpunkt von San Diego geboren, den manche liebevoll den Marine-Bahnhof in der 32. Straße nannten, den Heimathafen der Pazifikflotte. Die beiden Jungen kamen einen Monat zu früh zur Welt und hatten ein paar Pfund Untergewicht. 1950 war die Prognose in einem solchen Fall nicht günstig, und man rechnete damit, dass keines der beiden Kinder überlebte. Die drei Pfund schweren Jungen wurden in getrennte Brutkästen gelegt, und dass sie menschliche Wesen waren, konnte man wegen der vielen Schläuche und Drähte und der vielen Gazeverbände kaum sehen.
Beide waren sie dem Tode nah, und niemand erwartete, dass sie die Nacht überleben würden. Howard und Lily gingen zu ihnen, hielten ihre Hände über die Jungen, da man sie wegen ihrer Zartheit und weil sie Sauerstoff brauchten, nicht in den Arm nehmen konnte. Schließlich verabschiedeten sich die trauernden Eltern von ihnen, verließen die Intensivstation und gingen in die Halle, um dort auf das Unvermeidliche zu warten.
In jener Nacht war Brittany Colin die diensthabende Krankenschwester auf der Neugeborenen-Intensivstation. Ihre einzige Aufgabe bestand darin, sich um die Jungen zu kümmern, und auch sie saß da und wartete, dass Gott sie zu sich holte. Sie so einsam dort liegen zu sehen und sich vor Augen zu führen, dass die Kleinen niemals menschliche Nähe erfahren, niemals erleben würden, was es bedeutete, im Arm gehalten zu werden, brach ihr fast das Herz. Neun Monate lang waren sie gemeinsam im Bauch ihrer Mutter gewesen, waren nebeneinander herangewachsen, nur um die wohlige Wärme zu verlassen und, zu schwach zum Leben, in einer kalten Welt zu enden. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie verwirrt und einsam diese beiden Brüder sich fühlen mussten. Zu früh auf die Welt gekommen zu sein, nur um Schmerzen zu erleiden, und nie zu erfahren, was es bedeutete zu lachen, an der Brust der Mutter zu trinken, herumzuspringen und zu spielen, Liebe zu empfangen.
Da den Kleinen nur noch sehr wenig Zeit blieb, hatte Brittany plötzlich eine Idee. Sie schaute den Korridor hinunter, aber da war niemand: Der Arzt hatte Bereitschaft und hatte sich zum Schlafen in ein Büro im Stockwerk über ihnen gelegt, und die Stationsschwester war am Schreibtisch in ein Kreuzworträtsel vertieft. Auch wenn das Leben noch so kurz war, das den beiden Jungen auf dieser Erde beschieden war, wollte sie ihnen doch zumindest die Möglichkeit geben, einander kennenzulernen, zu erleben, wie es war, die bedingungslose Liebe brüderlicher Nähe zu spüren.
Nachdem sie die Schläuche und Drähte so angeordnet hatte, dass ihre Funktion nicht beeinträchtigt war, nahm Brittany den kleinen Isaac aus seinem Brutkasten heraus und legte ihn zu Jacob in den Brutkasten. Sie drehte sie mit den Gesichtchen zueinander, sorgte dafür, dass ihre Beinchen sich berührten und dass jeder das bisschen Wärme in sich aufnehmen konnte, das der andere verströmte, und sie
Weitere Kostenlose Bücher