Die Legende der Dunkelheit: Thriller
zählen konnte. Mit der gleichen Schonungslosigkeit zog er seine Missionen durch und war bekannt dafür, dass er schon mehrmals Grenzen überschritten und Regeln und Gesetze gebrochen hatte, um seine Aufgabe zu erledigen. Manche behaupteten, das sei der Grund, warum er nach so langer Zeit beim Militär immer noch nicht General war, aber ehrlich gesagt war Lucas lieber im Feld als am Schreibtisch, wo er sich mit Politik hätte befassen müssen.
Reiner las sich durch die private Akte. Lucas war seit mehreren Jahren hinter einem Mann namens Xiao her, den er verdächtigte, an terroristischen Aktionen beteiligt zu sein und Staatsfeinde mit Waffen zu beliefern, und in jüngster Zeit sah er in ihm eine unmittelbare Bedrohung für Militärangehörige. Lucas’ Informanten waren dahintergekommen, das Xiao kurz davor stand, in den Besitz einer Waffe zu gelangen, die er verkaufen wollte und deren Wirkung er noch vor Ende dieser Woche öffentlich demonstrieren wollte. Lucas’ Team war es nicht gelungen, die unbekannte Waffe abzufangen, und jetzt musste Lucas sie unbedingt finden, bevor andere ihm zuvorkamen.
Obwohl in der Akte vermerkt war, dass Xiao auf einer sinkenden Jacht im Tyrrhenischen Meer dem Tode geweiht war, wurde darin auch der Verdacht geäußert, dass er überlebt hatte und sehr viel bessere Aussichten hatte, in den Besitz der Geldkassette mit der Waffe zu gelangen, als Lucas.
Sie standen unter massivem Zeitdruck, die Uhr tickte unbarmherzig, und die Frist lief in nur drei Tagen ab. Reiner hatte die ausdrückliche Weisung, dem Colonel zur Seite zu stehen, um seine Sicherheit zu gewährleisten, denn es wurde befürchtet, dass Xiaos eigentliches Ziel weder ein Militärstützpunkt war noch eine Institution oder Einrichtung der USA, sondern vielmehr Lucas selbst.
Kapitel 23
1960
L ily und der kleine Jacob zogen zu ihrem Bruder, der in einem kleinen, wohlhabenden Viertel von Macao ein eigenes Haus besaß. Für Macao war das im mediterranen Stil erbaute Haus groß, sodass Lily und ihr zehnjähriger Sohn in einem separaten Flügel ihre eigenen Zimmer hatten.
Lily hatte sich zwar von ihrer Herkunft und dem Vermächtnis ihrer Familie losgesagt, nicht aber von der familiären Bindung zu ihrem Bruder Kwon. Obwohl sie wusste, was aus ihm geworden war, wie gefährlich er war, wusste sie auch, dass er nur für andere gefährlich war und dass er sie und Jacob unter Einsatz seines eigenen Lebens schützen würde.
Da sie die Blutergüsse und Verletzungen nicht verstecken konnte, war Lily keine andere Wahl geblieben: Sie erzählte ihrem Bruder, was zwischen ihr und Howard vorgefallen war, erzählte ihm von der Brutalität, die Howard an den Tag legte, sobald er Alkohol trank, dass er sie dann als minderwertig behandelt hatte und wie groß ihre Furcht gewesen war, Isaac bei ihm zurückzulassen. Doch sie hütete sich, die Schatulle zu erwähnen, die sie mitgebracht hatte, oder das, was darin war, denn auch wenn sie ihren Bruder noch so liebte, hatte sie Angst vor dem, was er möglicherweise tun würde, wenn er im Besitz dieser Schatulle wäre.
Kwon war außer sich vor Wut, als er sie sah, als er sah, was jemand seiner Schwester angetan hatte. Lily musste mit aller Macht auf ihn einwirken, damit er nicht Leute auf Howard ansetzte, die Vergeltung übten. Howard war immer noch Jacobs Vater, Isaacs Vater. Sie mochte sich gar nicht vorstellen, was der Tod eines Elternteils für die Jungen bedeuten würde. Kwon musste ihr schwören, dass Howard Lucas niemals ein Haar gekrümmt werde.
Kwon war unverheiratet, hatte sich immer nur auf seine Geschäfte konzentriert, doch er sehnte sich nach einem Sohn – nach einem Menschen, dem er vertrauen und dem er alles übergeben konnte, wenn es so weit war. Jacob wuchs ihm ans Herz, aber Lily bestand darauf, dass Jacob von Kwons Welt, von der Gewalt und all dem Unheil, ferngehalten wurde. Und Kwon gab ihrem Drängen nach; er liebte und respektierte seine jüngere Schwester und hätte nie etwas getan, was sie verletzen würde.
Eines Abends machte Lily einen Spaziergang. Sie schlenderte vorüber an der St. Christopher’s Church und dem Rao Buddhist Temple und war froh, in einer Welt zu leben, die sie verstand, unter Menschen, bei denen sie sich wohlfühlte. Obwohl ihr Vater nun einmal war, wie er war, und ihr Bruder zu dem geworden war, was er war, war das hier die Welt, die sie kannte und in der sie sich zu Hause fühlte.
Und genau in dieser Straße, genau in dem Moment, als sie zurück zum
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