Die Legende der Dunkelheit: Thriller
diese Waffe war und wie man sie behandeln und ehren musste. Er brachte ihm bei, wie man einen gun (Stab) benutzte, einen qian (Speer) und das jian (zweischneidiges Schwert). Das waren elegante Waffen aus einer längst vergangenen Zeit, von denen die meisten heutzutage glaubten, sie seien im Vergleich zu einer Pistole minderwertig, doch Kwon hielt sie für ehrenvoll und für ebenso tödlich.
Lilys Kassette befand sich immer noch in Kwons Besitz, doch er hatte Jacob gegenüber noch nie erwähnt, dass es sie gab und was darin war, weil er fürchtete, dass ein Fluch darauf lastete, der den Tod brachte. Er hatte das Buch überflogen und verstand, dass es wertvoll war, aber er erfasste nicht dessen wahre historische Bedeutung. Deshalb verkaufte er es schließlich an einen Freund, seinen Rechtsanwalt und Geschäftspartner, der geholfen hatte, Kwons »Firma« zu einem legalen Unternehmen zu machen und ihn bei der Geldwäsche unterstützt und seinen Namen aus seinen eigentlichen Unterweltgeschäften herausgehalten hatte. Der Mann war ebenso gewalttätig und gefährlich wie Kwon, tarnte seine Transaktionen aber mit Titeln, akademischen Graden und Nadelstreifenanzügen. Der Italiener war Sammler und kein Anleger, der versucht hätte, das Buch mit Gewinn weiterzuverkaufen; er hatte eine Leidenschaft für historische Waffen, Schwerter und Pistolen aus der Feudalzeit.
In dem Jahr, als Jacob seinen sechzehnten Geburtstag feierte, wurde in Kwons Augen aus dem Jungen ein Mann. Auf dem Rückweg von der Schule nach Hause – Kwon bestand nicht nur darauf, dass er auf die Highschool ging, sondern auch aufs College – wurde Jacob überfallen. Von einer Gang aus vier jungen Männern, deren Stärke, wie bei einem Rudel Hunde, darin lag, dass sie in der Überzahl waren. Sie stürzten sich auf Jacob, warfen ihn zu Boden und traten ihm in den Bauch und ins Gesicht. Sie rissen ihm die Tasche von der Schulter, die Schuhe von den Füßen und das Hemd vom Leib und verhöhnten ihn als gwailo , als ausländischen Teufel.
Obwohl Jacob wushu beherrschte und im Zweikampf und im Straßenkampf geübt war, hatten sich seine Trainingskämpfe bisher immer nur in einer Sporthalle unter der Anleitung von Lehrern abgespielt, nie in der Welt da draußen, wo sein Leben auf dem Spiel stand, wo es keinen zweiten Versuch gab, wo man es nicht noch einmal probieren und besser machen konnte.
Als er ganz klein zusammengerollt dalag, die Knie schützend vor dem Gesicht, wurde Jacob von Furcht und Scham erfasst. Alles, was man ihm beigebracht hatte, war unnütz; zu glauben, man selbst sei unsterblich und unverwüstlich, war eine Fassade aus falschem Stolz.
Und in diesem Moment, da er den Tod vor Augen hatte, musste er plötzlich an seine Mutter denken, die auf die gleiche Weise gestorben war – mitten auf der Straße, unfähig, sich gegen ihren Mörder zu wehren, gegen den Mann, den sein Vater geschickt hatte. Und Wut stieg in ihm auf und vertrieb seine Feigheit. Es war, als würde etwas in ihm erwachen, als hätte sein wahres Ich all die Jahre nur geschlummert und auf diesen Augenblick gewartet. Er vergrub seinen Schmerz tief in sich drin, die Furcht schwand, und er reagierte nur noch ganz instinktiv.
Mit unerwarteter Kraft trat Jacob aus und traf den größten Jungen, das aggressive Alpha-Männchen, an den Beinen und schleuderte ihn zu Boden. Und als Jacob im nächsten Moment auf die nackten Füße sprang, stürzten sich die drei anderen Jungen auf ihn, aber dieses Mal war alles anders. Jacob drehte sich um die eigene Achse und teilte Tritte und Handkantenschläge aus.
Seine Schläge waren präzise und hart, er zertrümmerte Kiefer, brach ihnen die Nase und die Arme – etwas, was die drei Handlanger noch nie erlebt hatten.
Der Anführer sprang wieder auf die Füße, ein Messer in der Hand. Jacob sah Wut und auch Furcht in den Augen des Jungen, die wilde Lust zu töten. Aber Jacob drehte sich nicht um und lief weg. Er ging in sich, dachte nichts mehr, erlaubte seinem Körper, einfach nur zu reagieren.
Als der ältere Junge sich auf ihn stürzte, wehrte Jacob den Angriff ab, indem er dem Jungen das Handgelenk brach und ihm das Messer aus der Hand riss. Und dann attackierte er seinen Angreifer mit blitzschnellen Bewegungen mit der Klinge. Er fügte ihm Stichwunden zu am Körper, an den Beinen, den Armen, am Hals und im Gesicht, oberflächliche Schnitte, die weder tödlich waren noch den anderen kampfunfähig machten, doch sie hinterließen grauenvolle Spuren.
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