Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
überprüfen.«
Plötzlich hatte er einen Geistesblitz. »Verdammt!«
»Was denn?«, fragte Fulcrom neugierig.
»Verdammt!«, wiederholte Jeryd und setzte sich auf. Er lachte, und sein Schwanz wedelte hin und her. »Wie dumm von mir! Die ganze Zeit über habe ich mir gesagt, sie sei es nicht gewesen.«
»Wer?« Auch Fulcrom richtete sich auf.
»Die Hure, mit der Ghuda die letzte Nacht verbrachte. Sie hatte überall in der Wohnung Gemälde. Ich sollte sie noch mal aufsuchen. Vielleicht lasse ich sie auch von Tryst beschatten. Es kam mir einfach zu offensichtlich und darum unwahrscheinlich vor. Doch falls sie in die Sache verwickelt ist, stellt sich die Frage, warum?«
»Wer weiß schon, warum die Leute tun, was sie tun?«, erwiderte Fulcrom. »Viele unserer Taten sind erstaunlich seltsam. Vor allem Menschen lassen sich leicht von ihren Emotionen lenken.«
Jeryd fühlte sich unbehaglich, denn er erinnerte sich, wie sehr auch er für Gefühle anfällig war.
»Hier entlang, Herr Ermittler«, sagte der Wächter mit einer Handbewegung.
Jeryd folgte ihm gedankenversunken, ohne die rot-graue Soldatenuniform wirklich wahrzunehmen. Zehn Minuten später ging es einen kalten, schier endlosen Tunnel abwärts. Schließlich erreichten sie eine große Tür, die sich auf ein Klopfen des Wächters hin öffnete.
Der Dawnir stand da und blickte auf Jeryd herunter, der ehrfurchtsvoll zu ihm hochschaute.
»Ein Ermittler, der Euch sprechen möchte«, erklärte der Wächter und stapfte davon.
Jeryd blickte stumm zu dem Geschöpf auf, zu seinen Stoßzähnen, seiner enormen Größe.
»Ah, ein Rumel!«, sagte der Dawnir sehr langsam, als hätte er die Sprache eben erst wiederentdeckt. »Schon lange habe ich keinen von euch mehr gesehen! Bitte hier entlang!« Seine Stimme klang unerwartet dröhnend.
»Danke!« Jeryd ließ das Medaillon mit dem alten Symbol eines dreieckigen Tiegels aufblitzen. »Ermittler Rumex Jeryd. Und Ihr seid Jurro, wie ich vermute.«
»Richtig, doch Namen sind Schall und Rauch.«
Jeryd beobachtete das Geschöpf fasziniert. Doppelt so groß wie ein Mensch und dicht behaart, bot es einen einschüchternden Anblick. »Man hält die Leute so eifrig von Euch fern, dass ich nicht an Eure Existenz glauben mochte.«
»Tatsächlich? Wie verblüffend! Wisst Ihr, ich glaube allmählich selbst, dass es mich nicht gibt. Immer werde ich hier gefangen gehalten … Na ja, eingesperrt bin ich nicht, aber wohin soll ich gehen? Mich in die Stadt zu wagen, sei gefährlich für mich, heißt es. Anscheinend wollen vor allem die Priester mich nicht auf der Straße haben. Deshalb wissen so wenige, dass ich überhaupt hier bin. Sie fürchten, meine Gegenwart könnte ihre kleine Religion beleidigen. Doch einige von euch Rumeln stellen kleine Gaben vor meine Tür, über die ich stolpere, wenn ich mein Geschäft verrichten gehe. Aber es gibt noch Hoffnung, denn ich soll ein paar Soldaten auf ihrer Reise in den Norden begleiten. Das könnte mir gefallen, denn das hier ist eigentlich kein Leben.«
Mit seinem mächtigen Arm wies er auf die Bücherregale ringsum.
»Aber vielleicht wäre es doch besser, den ganzen Tag herumzusitzen und zu lesen, statt zu erblicken, was ich zu sehen bekommen mag.«
Jeryd versuchte zu plaudern. Der Dawnir gefiel ihm trotz seiner offenkundigen Neigung zu hochtrabendem Gerede. »In all diesen Büchern muss eine Menge Wissen stecken.«
»Aber sie geben keine Antwort auf die wirklich wichtigen Fragen. Unsere Welt ist so alt, die Sonne so rot. Die Philosophen mutmaßen, dass die Dinge an einem gewissen Punkt enden. Dem pflichte ich bei, auch wenn das nur die Schwermut bestätigt, die alle zu empfinden scheinen. Also, Rumel – was ist es, das Ihr sucht?«
»Eure Weisheit, Jurro.« Jeryd zog die Schriftrolle aus seinem Umhang, und der Dawnir nahm den Text zwischen Daumen und Zeigefinger, um ihn zu studieren.
»Diese Informationen sind vertraulich, wie ich Euch wohl kaum sagen muss«, bemerkte Jeryd.
»Warum sollen sie vertraulich sein? Ihr könnt sie doch offenkundig nicht lesen?«
»Da ist was dran.« Jeryd zwang sich ein Lachen ab. »Aber der Inhalt soll dennoch unter uns bleiben, falls Ihr mir das Schreiben übersetzen könnt. Es heißt ja, Ihr gehört zu den Alten.«
»Leider nur physisch: Ich habe keine Erinnerung daran, was ich vor meiner Ankunft hier in der Stadt erlebt habe.«
»Könnt Ihr den Text also nicht lesen?«, fragte Jeryd enttäuscht.
»Das habe ich nicht gesagt«, donnerte das
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