Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
hatte weiche Haut, markante Wangenknochen und ein freundlich blickendes Auge, das den Eindruck erweckte, er freue sich, sein Gegenüber zu sehen. Seine liebenswerte und vertrauenerweckende Art brachte die Leute dazu, sich ihm zu öffnen. Jeryd fand ihn ungemein gut aussehend, und Fulcrom trug unter dem blutroten Umhang der Inquisition stets die eleganteste graue Tunika. Trotz des Schneematschs draußen waren selbst seine Stiefel viel sauberer als die von Jeryd.
»Bitte!« Jeryd wies auf einen Sessel am Fenster.
Fulcrom machte es sich bequem und blickte hinaus, um zu sehen, was sich unten auf der Straße beobachten ließ.
»Interessante Entwicklungen?«, fragte Jeryd.
»Nur die üblichen Probleme: Menschenschmuggel in die Stadt und ein paar grausame Morde in den Höhlen. Was die Lage der Flüchtlinge angeht, habe ich eine Namensliste, auf der einige ziemlich einflussreiche Leute stehen.«
»Wie einflussreich?« Jeryd warf einen kurzen Blick ins Feuer.
»Wenn ich sagen würde, es geht bis zur Staatsspitze, wärt Ihr dann überrascht?« Fulcrom setzte sich anders hin.
»Bis zum Rat?«
Fulcrom nickte.
»Das würde mich gar nicht erstaunen«, erwiderte Jeryd, der seiner jahrelangen Erfahrung traute. »Was genau habt Ihr ermittelt?«
»Jemand im Rat dürfte die Flüchtlinge als Makel sehen, will sie beseitigt haben und lässt einigen Höhlenbanden Geld zukommen. Ich weiß nicht, wer es ist, aber … Na, das dürfte Euch reichen.«
Jeryd legte die Fingerspitzen aneinander und bedachte die Worte seines Kollegen.
»Was überlegt Ihr?«, fragte Fulcrom.
Sein Kollege beugte sich zu ihm vor und flüsterte: »Ich wette, hinter alldem steckt Urtica persönlich.«
» So hoch geht es? Wie kommt Ihr darauf?«
Jeryd holte die Schriftrolle, die er entdeckt hatte. Während der junge Rumel das Schreiben überflog, erklärte ihm Jeryd: »Das hab ich in einer Büste Kaiser Johynns gefunden, die in Ratsherr Ghudas Büro stand. Es ist ein Ovinistentext, doch ich kann ihn nicht dechiffrieren.«
Fulcrom zückte eine Braue. »Sieht nach alten Runen aus, wenn Ihr mich fragt. Der Form der Buchstaben nach ist der Text mindestens tausend Jahre alt.«
»Aber könnt Ihr ihn deuten?« Jeryd umrundete seinen Schreibtisch und stellte sich ans Feuer. »Ich habe es tagelang vergeblich versucht.«
»Nein, doch ich glaube zu wissen, wer das kann.«
»Wer?«
»Der Dawnir.«
»Was? Der aus dem Balmacara? Lässt man uns denn zu ihm? Soweit ich weiß, wird den Bewohnern der Stadt sogar seine Existenz verschwiegen.«
»Nun, Ihr seid Mitglied der Inquisition – da wird man Euch gewiss zu ihm lassen.«
Jeryd zuckte die Achseln. »Wer weiß das heutzutage!«
Fulcrom gab ihm die Schriftrolle zurück, und Jeryd verwahrte sie wieder sicher.
»Ihr vermutet also Urtica hinter dem Ganzen?«, fragte Fulcrom. »Das ist eine verwegene Behauptung.«
»Ich weiß. Und ich habe nicht einmal Beweise dafür. Vor einiger Zeit gab es Gerüchte, er sei Mitglied des Ordens der Ovinisten, und er reagiert ausweichend, wenn man ihn darauf anspricht. Doch ich glaube nicht, dass er hinter den Morden steckt. Er wirkte über das Blutbad in Bolls Büro aufrichtig bestürzt. Ich denke, er hat nicht das Zeug, jemanden zu töten, sondern zieht eher Strippen hinter der Bühne. Ich kann mir eigentlich nur vorstellen, dass er mit Boll und Ghuda etwas im Schilde führte. Und nachdem die beiden ermordet wurden, dürfte ihm nun die Angst im Nacken sitzen.«
»Und wie, glaubt Ihr, ist er in die Sache verwickelt?«
»Das weiß ich nicht. Die Morde an den Räten sind die seltsamsten Verbrechen, die mir je begegnet sind. Wisst Ihr, was meine einzige Spur ist, wenn man es überhaupt so nennen kann?«
Fulcrom schüttelte den Kopf.
»Farbe.«
»Farbe?«
»Ja. Zwischen all dem Blut in Bolls Büro hab ich einen Farbfleck entdeckt. Und dann ist mir eingefallen, dass ich auch bei Ghudas Leiche so einen Fleck gesehen habe.«
Fulcrom dachte sorgfältig nach. »Also könnte ein Künstler oder Handwerker in die Sache verwickelt sein. Warum kein Kultist?«
»Weil die nach eigenen Regeln leben. Warum sollten sie zudem so spektakuläre Todesfälle inszenieren? Das ist nicht ihr Stil. Sie gehen diskreter vor.«
»Vielleicht hat der Mörder ein Bild seiner Opfer gemalt? Als Andenken vielleicht … Keine Ahnung, ich sage nur, was mir durch den Kopf geht.«
»Die Farbe kann alles Mögliche bedeuten«, meinte Jeryd finster. »Mir bleibt nur übrig, jeden Maler in Villjamur zu
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